Fußballweltmeisterschaft in China

Kann sich irgendwer in Deutschland vorstellen, was es für uns hier heißt, mit der deutschen Nationalelf mitfiebern zu wollen? Heute z. B. sind die meisten Deutschen sehr früh zu Bett gegangen, denn das Spiel gegen Spanien beginnt um 2.30 Uhr in der Nacht. Und ihr glaubt es nicht. Vor zwei Tagen erhielten wir eine Einladung in die Deutsche Botschaft, mit dem Hinweis, Einlass zu der Veranstaltung sei von 2.oo Uhr bis 2.3oUhr. Aber wir verzichten diesmal auf botschaftliches Freibier und bleiben daheim. Da kann man direkt wieder ins Bett fallen und muss nicht noch nach Hause wanken. Denn wo bekommen zweihundert Fußballfans um 4.30 Uhr je ein Taxi her?

Am Samstag haben wir zum ersten Mal am Public Viewing teilgenommen. Angeblich gab es am Osttor des Arbeiterstadions – nicht weit von uns – Bierzeltgarnituren und Großleinwand. Leider fdand dort am Samstag auch ein Konzert im Stadion statt, sodass das PV ausfiel. Mit unseren Freunden schalteten wir schnell um auf die Leinwand am großen neuen Adidasshop und tatsächlich kamen wir noch rein.

Zwischen lauter Chinesen, die meisten hielten immer zur gerade stürmenden Mannschaft, denn man will ja zu den Siegern gehören, saßen wir und sahen ein rasantes Spiel mit chinesischen Kommentaren – auch nicht schlimmer als Delling und Netzer! Wir waren nur eine kleine deutsche Schar dort. Doch anschließend auf der Dachterrasse der Nali Bar schienen die Deutschen unter sich zu sein. Ich denke, deutlich mehr als hundert Deutsche feierten mit Gesängen, Rufen, Tänzen und viel Bier den Sieg über die argentinische Mannschaft. Den Anpfiff des spanischen Spiels sahen wir noch dort, aber dann sind wir heimgefahren.

Heute feiern wir nicht, egal ob Sieg oder Niederlage, denn morgen ist wenige Stunden später wieder Arbeitstag. Die Putzfrau kommt drei Stunden später, die Chinesisch-Lehrerin statt morgen früh erst am Freitag.

Und eine Freundin hat ihren Flug nach Deutschland um einen Tag vorgebucht.  Jetzt kommt sie passend zum Endspiel daheim an. Ach, wir haben dann noch mal solch eine verkorkste Nacht, falls der Oktopus irrt.

Die alte Rinder Schleife

Ganz China hatte mal wieder drei Tage frei: Drachenbootfest. Einer dieser freien Tage musste allerdings am Samstag vorgearbeitet werden. In manchen Firmen wurde auch am Sonntag gearbeitet. Dafür konnten alle von Montag bis Mittwoch wegfahren – und das machten natürlich auch alle, die es irgendwie bezahlen und noch einen Fahrzeugplatz bekommen konnten. Wir flogen nach Datong, unter uns immer die Lange Mauer, zusammen mit Astrid und Dieter, die auch seit Jahren in Peking leben. Dort empfing uns unsere Fremdenführerin namens Shakery und ein Fahrer. Datong ist häßlich und luftverpestet, deshalb fuhren wir gleich weiter, immer an der Mauer entlang, um in gelb-grüner Landschaft wieder durchatmen zu können. Shakery stiefelte mit uns die Hügel hinauf zu den Resten der Chinesischen Mauer, die hauptsächlich noch als Erdwall zu sehen ist, da die Bauern der Umgebung die Ziegel zum Häuserbau weiterverwendet haben. Über Stock und Stein kletternd erlebten wir die Mauer hautnah. In den wenigen Wehrtürmen fanden wir etwas Schatten und Kühle, ansonsten war es sehr sonnig und über 30 °C warm. Nach einigen Stunden kehrten wir zum Mittagessen in ein Lokal ein, in dem neben einigen Klapptischen und Hockern auch ein Bett stand. Vis a vis besuchten  wir ein Lehmdorf, mit Mauerresten, Eselskarren und Dorfbrunnen. Weiter ging es zu einer Paßhöhe, an der laut Shakery Mao tse dong die japanischen Agressoren abgewehrt habe und von der es heiße, wenn dort nur ein Mann stünde, kämen 10.000 Feinde nicht rüber. Auf der anderen Seite liegt  die Innere Mongolei – Hohhot ist nicht weit. Leider wurden hier gerade die Mauerreste und etliche weitere alte und neue Gebäude neu aufgebaut; eher nicht zu Abwehrzwecken, sondern zur Ankurbelung des Fremdenverkehrs. Gegen Abend besuchten wir noch ein Dorf, in dem es sehr ursprüngliche bewohnte Höhlenwohnungen gibt – in Mauerresten – aber auch andere nicht sehr luxuriöse Bauten, deren Bewohner uns zunächst skeptisch betrachteten, dann aber doch freundlich Bekanntschaft schlossen. Nur Shakery gefiel das nicht. So zogen wir irgendwann ab und bezogen unsere Hotelzimmer – wohl wissend, dass die nächste Nacht weniger bequem sein würde.

Früh morgens ging es weiter – trotz Navi fanden wir den Weg – über katastrophale Straßen, durch schreckliche Tunnel und an Massen von Kohlelastern vorbeifahrend zunächst zum Huang he, dem Gelben Fluss, der hier überhaupt nicht gelb ist, sondern grün – Stauwerke machen es möglich! Nach dem Beschreiten einer Hängebrücke setzten wir die Fahrt auf noch unangenehmeren Straßen, allerdings mit sehr wenig Verkehr, fort.

Und irgendwann erreichten wir die Alte Rinder Schleife, Laoniuwan, den Ort, an dem die Mauer zum ersten Mal auf den Gelben Fluß trifft. Da dieser hier aufgestaut ist, liegen sowohl ein Teil der Mauer wie auch das alte Unterdorf unter Wasser. Eindrucksvoll taucht dementsprechend die unrenovierte Mauer auf der einen Seite in den Huang he um auf der anderen, frisch wieder aufgebaut, in unzähligen Stufen den Berg hinaufzuziehen. Über allem thront ein altes Kastell und ein unbewohntes altes Dorf , das gerade tourismusgeeignet ummantelt wird. Wir kamen bei einem Bauern im neuen Dorf unter. Jedes Paar hatte einen Raum mit Kang und Tür zum Hof zur Verfügung. Ein Kang ist ein gemauertes Bett, das mithilfe eines danebenstehenden Ofen beheizt werden kann. Im Sommer ist es unbeheizt, aber hart. Bad gab es keines. Die Toilette war die gemeinschaftlich genutzte  Bude mit zwei Löchern über dem Abgrund, im Hof stand eine Emailschüssel mit Wasser zum Waschen. Dafür entdeckten wir bei unseren Wanderungen durch die Umgebung einen Heuschober, der sich als Tempel herausstellte – mit wunderbaren Wandmalereien. Shakery war begeistert und muste es sofort dem Fremdenverkehrsbeauftragten melden. Als Astrid am nächsten Morgen dies auch sehen und fotografieren wollte, war es ihr leider verwehrt, da ein Bauer das stille Örtchen für seine Notdurft nutzte.Bislang dachte ich immer, nur den Kirchen in Russland wäre so etwas angetan worden. Mir ging es doch sehr nahe, dass ein heiliger Ort derart missbraucht wurde. Shakerys Begeisterung tat gut.

Am letzten Tag schlug das Wetter um, einen Marktbesuch konnten wir noch bei Sonnenschein genießen, eine alte Festung wurde leider wegen eines Donnerwetters schnellstbesichtigt. Trotz ewiger Kohlelasterschlange, die wir todesmutig überholten, erreichten wir pünktlich unseren „Kanonenkugelzug“, der uns in drei Stunden von Taijuan ins völlig verregnete Peking zurückbrachte – zurück in die Zivilisation.

Scharlatane

Ich hab mich schon immer über die chinesischen Schwangeren gewundert. Die meisten von ihnen tragen mindestens sieben Monate lang unförmige, häßliche, zumeist graue oder beige Westen. Ich dachte, das sei Tradition oder sie fänden es vielleicht schön. Aber nun wurde ich eines besseren belehrt. Wie alles chinesische Essen und Trinken, alle möglichen Bewegungsformen und Körperklopfriten sollen auch diese Schwangerenzelte gesund sein.  Die Frau von Klaus‘ Kollegen ist schwanger und sie erzählte, dass ihr chinesischer Chef gemeint habe, wenn sie so viel am Computer arbeite, müsse sie unbedingt eine solche Weste tragen. Diese sei mit Metallfäden durchwirkt, die die schädlichen Strahlungen abhalte. Eine chinesische Kollegin bat sie daraufhin, von ihrem nächsten Besuch in Deutschland doch bitte eine solche Weste für sie mitzubringen. In Deutschland seien die bestimmt von viel besserer Qualität und sicherlich auch schöner. Auf Katjas Aussage, in Deutschland gäbe es so etwas überhaupt nicht und keine Schwangere würde sich darüber Gedanken machen, erntete sie völliges Unverständnis. Als Physiker hat auch Klaus eine klare Meinung zum Strahlensack: Humbug. Es muss schon ein sehr gerissener und überzeugender Geschäftsmann gewesen sein, der die chinesischen Frauen derart verunsichern und anschließend überzeugen konnte. aber gerade vor einigen Tagen las ich, dass ein Arbeiter sich als TCM-Arzt ausgegeben habe und ein Buch veröffentlichte über die Heilkraft von Mungbohnen gegen Aids und Krebs usw. Es verkaufte sich seit Februar mehr als 3 Millionen mal und wurde im Fernsehen angepriesen. Die Patienten standen Schlange bei ihm und er war ausgebucht bis 2012. Doch seine Verschreibungen waren immer die selben, das fiel auf und so wurde er doch noch erwischt.Sein Verleger aber meint, der Erfolg gebe dem Mann doch recht, auch wenn er keine Ausbildung als Arzt habe. Man muss die Leute nur hinters Licht führen können, das scheint genug Können zu sein.

Von Mönchen und Mäusen

Ich weiß, ich weiß, der Titel heißt eigentlich anders und dann gehören die Mäuse auch nach vorne, aber um den Tatsachen und der Chronologie gerecht zu werden, muss er so lauten.

Wir waren einmal mehr unterwegs in China. Direkt nach unserer Reise durch Vietnam (Bericht kommt später) beschlossen wir, mal wieder ursprüngliches China erleben zu wollen. Also suchte ich die Provinz aus, die von touristisch interessierte Chinesen völlig unbeachtet bleibt und mit keinerlei besonderer Attraktion verbunden wird: Qinghai, nordöstlich von Tibet, auf dem tibetischen Hochplateau. Am Tag, als ich die Reise zu bezahlen hatte, passierte es. Qinghai war in allen Nachrichtensendungen präsent. Ein heftiges Erdbeben hatte sich in Yushu ereignet. Auf der Karte sah ich: Yushu liegt im Süden, Xining und Tongren im Norden. Qinghai ist doppelt so groß wie Deutschland. Wenn es in Berchtesgaden wackelt, merkt das kein Mensch in Schleswig. Und es waren ja noch drei Wochen bis zu unserem Tourstart. Unser Flugzeug war die erste wieder regulär fliegende Maschine nach dem Erdbeben. Alle anderen hatten noch Hilfstruppen, Zelte etc. mitgenommen. Als wir, unsere Reisegruppe mit 18 Menschen, in Xining landeten, sahen wir Krankenwagen, die auf Erdbebenverletzte warteten, die mit einem Flugzeug von Yushu kommen sollten. Irgendwann in diesen Tagen sah Klaus auch die Autokolonne mit Wen Jiabao, der einen Krankenhausbesuch machte. Aber ansonsten merkten wir nichts vom Erdbeben.

Dafür durften wir beeindruckende Landschaften, Tempel und Menschen kennenlernen. Wir bewegten uns auf Höhen von 2000-3000 m üM.  Und sahen Berge, die noch um etliche Meter höher waren, teilweise wirkte es wie in den Rocky Mountains. Zudem begann es gerade, grün zu werden, auch wenn wir noch Reste von Schnee und Eis entdeckten. Nur wenige Menschen leben in diesen Bergen, vor allem Hirten mit großen Schaf-, Ziegen- und Yakherden. Die kleinen Dörfer bestehen aus einstöckigen Lehmhäusern, die jeweils eine Lehmmauer umgibt. Ein Obstbaum im inneren Garten blühte gerade und außen an der Mauer trockneten die Kuhfladen, um später als Feuerungsmaterial zu dienen. Es waren Dörfer der Sala und Hui, Minderheiten arabischen Ursprungs mit muslimischem Glauben. Wir hatten das Glück, nach dem ersten Mittagessen spontan bei einer Begegnung auf der Straße von einer Großfamilie zu sich nach Hause in ihr Dorf eingeladen zu werden. Mit ihnen gemeinsam fuhren wir im Bus über schmale Schotterstraßen ins „Nirgendwo“, so wirkte es auf mich.Zunächst wurden wir alle im Haus mit sehr typischem Früchtetee versorgt, am liebsten hätten sie auch noch für uns gekocht. Aber wir zogen nach einer Stunde voller Dank weiter. Neben den Hui leben vor allem Tibeter in dieser Provinz und so besuchten wir als nächstes das Haus des 10. Panschen Lama. Es war das erste in einer langen Reihe beeindruckender buddhistischer Tempel und Schulgebäude. Die Farbigkeit dieser Tempel, die Masse der Gebetsmühlen, die ewigdauernden Rituale und Gebete, die freundlichen Menschen mit ihren von harter Arbeit und rauem Klima gezeichneten Gesichtern ließen mich ständig zum Fotoapparat greifen. Nur die Mönche sahen eigentlich eher weichgespült aus, wie sie so in ihren roten Kutten daherkamen, oft mit Motorrädern, manchmal auch im Taxi. Ja, wir wurden auch mal von ihnen angebettelt, aber das war die Ausnahme. Die Nonnen dagegen hatten alle hart zu arbeiten, wie es überhaupt auffiel, dass die Tibeterinnen die schwere körperliche Arbeit machten. Bei den Kindern, nur mit ihnen konnten wir uns ohne Reiseleiter unterhalten, da sie in der Schule neben tibetisch auch chinesich und in späteren Jahren auch englisch lernen, stellten wir fest, dass die Mädchen sprachlich fitter und auch neugieriger auf Fremde waren.

Unser zweites Ziel war der Kambala Forest Park,- Google kennt ihn nicht! – eine beeindruckende Natur oberhalb des zweitgrößten chinesischen Staudaums am Gelben Fluss, der hier noch strahlend blau ist. Neben Bootsfahrt und Bergtour, Dorf und Klöster, hielten uns Mäuse auf  Trab. Leider hatte unser Hotel irgendwie die Anschaffung von Katzen vergessen, sodass es in der Nacht in diversen Zimmern raschelte, nagte und anschließend laut wurde  durch die Jagd auf die Störenfriede. Es war das einzige Hotel vor Ort – aber wir reisten eh wieder ab. Wen wir übrigens nicht gesehen haben (nein, nein, der ewig lächelnde Obertibeter war fotografisch in jedem Tempel zu sehen) : Touristen. Qinghai könnte einige mehr gebrauchen, bloß nicht zu viele!

Urlaubsbeschäftigungen

Offensichtlich hab ich mich jetzt völlig auf den langen Urlaub in China eingestellt. Ich schreibe nicht einmal mehr regelmäßig in diesen Blog. Dabei hatte ich mir zu Sylvester in Deutschland vorgenommen, im neuen Jahr sogar häufiger zu schreiben. Nun, in China laufen die Uhren bekanntlich anders, erst recht der Kalender und so ist heute wieder Sylvester. Eine prima Gelegenheit, den Vorsatz in die Tat umzusetzen. Vor allem auch deshalb, weil die Einzige, die mir noch regelmäßig aus der Gemeinde schreibt, mich heute an den Blog erinnerte.

Ja, die Gemeinde ist weit weg und China kommt immer näher. Seit einiger Zeit engagiere ich mich deutlich mehr in der deutschen Patengruppe, bei den chinesischen Projekten, die wir betreuen, heißen wir deguo mama, „deutsche Mütter“. Seit November bin ich damit eigentlich im Dauereinsatz. Das von mir betreute Projekt kommt dabei fast zu kurz. Es ist eine Schule für Eltern autistischer Kinder, in der Eltern und Kinder geschult werden, vor allem, damit die Eltern lernen, wie sie ihre Kinder fördern können. Da ich auch die Koordination der Projekte übernommen habe, muss ich zur Zeit alle Projekte ordentlich kennen lernen.

So hatten wir im November den Weihnachtsmarkt in der Deutschen Botschaft, auf dem sich auch die Projekte vorstellten. Immerhin fließt der Gewinn an sie. Im Dezember trafen wir uns mit den Projektleitern und übergaben ihnen unsere Spenden, insgesamt fast 50.000 Euro, ein wenig ist noch für zwischenzeitliche Unterstützung zurückgelegt.

Im Januar besuchten wir das Projekt Huiling, quasi eine beschützende Werkstatt, in der geistig behinderte Menschen zwischen 15 – 61 Jahren tagsüber basteln, malen, kochen, Theaterspielen, singen und musizieren, Ausflüge machen und hauswirtschaftliche Betätigungen erlernen. Es gibt in Peking mehrere dieser Häuser. Und sie haben verschiedene Unterstützer, da sie vom Staat kein Geld bekommen, sondern im Gegenteil auch noch Steuern auf ihre Einnahmen zahlen müssen. So trafen wir Beauftragte von Misereor, die ein Computer gestütztes Lernprogramm für Eltern und Behinderte vorstellten, was von Misereor gesponsort wird. Auch die Kontakte zu anderen Sponsoren sind wichtig, da die Notwendigkeit von finanzieller Unterstützung bei den Projekten sehr unterschiedlich ist. Hier einen Durchblick zu bekommen erfordert von mir zur Zeit viel Aktenarbeit.

Vor einigen Tagen besuchten wir Sun Village. Eine ehemalige Polizistin hat mit diesen „Sonnendörfern“ – es gibt mehrere in China – etwas ganz notwendiges geschaffen: Kinderheime für Kinder Strafgefangener. Sie kommen oft aus sehr schwierigen Verhältnis, oftmals hat ein Elternteil den anderen umgebracht. Hier finden sie ein neues Zuhause, haben Schulunterricht, lernen Landwirtschaft, werden musisch gefördert. Und sie haben regelmäßigen, meist telefonischen Kontakt zu Vater oder Mutter. Das konnten wir gerade miterleben, es war herzzerreißend, wie ein kleiner Junge zitternd am Telefon mit seiner Mutter sprach. Ein anderer Zweijähriger stand weinend im Babyzimmer mit einer Betreuerin, die ihn genauso wenig verstand wie wir, da er eine uigurische Mutter hat und kein chinesisch spricht. Sie sollte aber wieder aus der Untersuchungshaft entlassen werden und alle warteten auf ihre Ankunft, nur der Sohn begriff es nicht. Das jüngste Kind im Babyzimmer ist vier Monate alt. Die ältesten Kinder in Sun Village sind 17 Jahre alt und übernehmen auch Betreuungsdienste bei den Jüngeren. Allen brachten wir „Hongbaos“ zum Chinesischen Neujahrsfest. Das sind roten Taschen mit Geschenken gefüllt. Jeder der 100 Hong (rot) bao (Taschen) enthielt: Trinkbecher und Schale, Süßigkeiten, getrocknetes Fleisch und Obst, Stofftiger zum neuen Jahr des Tigers, Zahnbürste. Das gemeinsame Füllen am Vortag hatte bereits Spaß gemacht, noch mehr freuten wir uns, als die Kinder zum Dank ein Lied mit Zeichen der Gebärdensprache sangen (es gibt auch gehörlose Kinder in der Einrichtung).

Für mich war es auch besonders schön, bei diesem Projekt zusammen mit einer weiteren der wenigen deutschen Bayer Expat-Frauen tätig sein zu können.

Aber jetzt ist tatsächlich erstmal Urlaub angesagt, denn alle Chinesen machen Urlaub zum Neujahrs-Frühlingsfest, das eine Mischung aus unseren Weihnachten- und Sylvesterfeiern ist.

Unfreiwilliger Humor

Die von mir gern gelesene Website german.china.org.cn bringt heute einen Bericht über einen starken Schneesturm der Nordchina heimgesucht hat. Das allein wäre noch keinen Beitrag Wert. Sehr schön ist allerdings der unfreiwillige Humor der sich dort findet.

Lesen Sie selbst die Unterschrift zu den Bildern der Tankstelle auf Seite 1 und 2 der Fotoserie

http://german.china.org.cn/photos/txt/2009-11/13/content_18882580.htm

Der Einzelne zählt nichts

Die Einzelperson zählt anscheinend nicht in einem Land mit 1,3 Milliarden Menschen. In diesen Tagen fand ich (wieder einmal) einen deutlichen Beleg für diese Aussage.

In der chinesischen Provinz gab es einen Verkehrsunfall mit 19 Toten und vielen Verletzten. Ein Fahrzeug war in eine Menschengruppe gerast, was die vielen Toten verursacht hat. In Europa wäre diese schreckliche Meldung sicher in allen Zeitungen auf der Titelseite erschienen und in den Fernsehnachrichten als erste Meldung gekommen. Gerade gehen die Nachrichten über den Amoklauf in einer US Kaserne an prominenter Stelle durch alle Medien, auch durch die chinesischen Zeitungen und Fernsehnachrichten.

Nicht so die Meldung über den Verkehrsunfall mit 19 Toten. Haben Sie davon gehört? Sicher nicht. Sie denken: Naja China ist weit – aber in China wird man schon breit darüber berichtet haben. Weit gefehlt. Ich fand diese schreckliche Nachricht in einer einspaltigen Meldung auf Seite 3 der China Daily, einer Tageszeitung in Englisch, die für die hier lebenden Ausländer gedruckt wird. Ein Unglück mit 19 Toten ist wohl nicht wichtig genug für die Titelseite.

Ich lese häufiger die englische Seite der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua um mich über die Geschehnisse hier im Land zu informieren. Erschreckend häufig finden sich dort kleine Meldungen über Unglücke mit vielen Toten und Verletzten. Aber niemals schaffen es solche Meldungen in die Top-Meldungen der Nachrichtenagentur.

Es scheint zu stimmen: Das Schicksal des Einzelnen zählt nichts.

Was – Wo – Wieviel?

Was machst du nur die ganze Zeit in Peking?  Nun, es gibt viel zu tun. Zur Zeit bin ich schwer beschäftigt mit Weihnachtsvorbereitungen. Nein, nein, keine Predigten schreiben oder Krippenspiele konzipieren. Wir bereiten den Weihnachtsmarkt auf dem Botschaftsgelände vor. Da gibt es viel zu tun. Weihnachtsschmuck basteln, alles zurechtmachen, damit kurzfristig frische Adventskränze gebunden werden können – die nadeln hier leider viel schneller als in Deutschland – und Freiwillige müssen gefunden werden, die an diesem Tag Standdienste übernehmen, als Nikolaus Geschenkchen verteilen, oder am Vortag beim Aufbau helfen. Immer mittwoch morgens treffen wir uns zur ehrenamtlichen Arbeit, aber auch zum Kaffee trinken und zum Informationsaustausch. Und der ist nicht unwichtig.

Meistens geht das so: „Du hast schon wieder eine neue Brille! Schick!“  – „Ja, ich hab da einen Optiker entdeckt, der macht das alles perfekt zu einem Super-Preis.“  – „Aber, die Qualität?“  –   „Ich habs überprüft. Er hat beim Vermessen die gleichen Werte wie der Augenarzt rausbekommen. Und die Gleitsichtgläser funktionieren optimal. Nach einem Tag hatte ich meine Brille. Und die gebogene Sonnenbrille mit Gläsern meiner Stärke und verlaufender Tönung war einen Tag später auch fertig.“

Und schon fragen alle drumherum: „was – wo – wieviel?“ und es wird ein Termin ausgemacht, um gemeinsam dieses Wundergeschäft zu betreten, damit man von den ausgehandelten Superkonditionen der Kollegin profitieren kann.

So fuhr ich gestern mit zwei Bekannten zu einem großen Gebäude weit außerhalb, wo es Kaschmirstoffe und -Wollen in bester Qualität zu Spitzenpreisen gibt. Beladen mit Mantel- und Anzugstoffen, Futterseiden und Knöpfen zogen wir nach 90 min wieder zufrieden ab. Für Strickwolle hatte ich keine Hand mehr frei. Mein Portemonnaie hätte allerdings noch mitgemacht – es waren wirklich gute Preise. Und am Abend ging es samt Ehemann zum empfohlenen Schneider, damit er für den Deutschen Ball noch pünktlich einen schwarzen Anzug bekommt.

Diese Adressen weiter zu geben darf man nicht vergessen, denn diese Häuser zu finden ist wirklich schwer. So sammeln wir mingpians – Visitenkarten – ein und machen neue Termine mit anderen Bekannten aus.

Manche Adresse ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. So gibt es eine Taschenhandlung, die wohl sehr gute Taschen, sehr teure Marken, zu sehr günstigen Preisen verkauft. Wer an einer bestimmten, völlig unscheinbaren Tür klopft, wird zunächst kritisch beäugt, die Umgebung wird ebenfalls misstrauisch beobachtet, erst dann darf man eintreten. Ihr Mann habe sie, nachdem sie ihm angesichts der neuen Tasche davon berichtete, gebeten, diesen Laden nicht mehr zu betreten, erzählt eine Mitstreiterin. Bei einer Polizeirazzia zufällig dort anwesend zu sein und aufs Revier mitgenommen zu werden würde für den Gatten – seines Zeichens Wirtschaftsprüfer –  das berufliche Desaster bedeuten. Aber sie meinte, die Warnung sei überflüssig gewesen. Ihr habe das Herz schon so zu heftig geklopft.

Aber wo sie sie findet, die perfekte Lederschneiderin, den besten Obst- und Gemüsemarkt, die Handlung für chinesische Möbel, die günstige Bezugsquelle für europäischen Wein, erfährt frau nur auf diesem Wege.

Wo man derzeit am besten essen gehen kann, wird mir heute abend mal wieder gezeigt werden. Einmal die Woche trifft sich der deutsche Chor und probt das Bach’sche Weihnachtsoratorium. Anschließend gehen wir essen. Was – wo – wieviel?

Fotos

Wir werden immer wieder gefragt, ob wir neue Fotos haben. Ich habe mich deshalb mal auf die Suche gemacht, wo ich meine Fotos im Internet veröffentlichen kann. Ich habe mich schließlich für flickr entschieden.

Meine Fotos finden sich also ab sofort unter: http://www.flickr.com/photos/klaus-blatt/

Dort gibt es verschiedene Alben mitFotos von mir. Ich empfehle auf das Symbol Diashow zu klicken.

Ich versuche jeweils einen kleinen Beitrag hier zu veroeffentlichen, wenn es sich lohnt mal wieder auf die Seite zu gehen. Aktuell habe ich ein Album mit dem Titel „60 Jahre V.R. China“ angelegt. Diese Bilder wurden wenige Tage nach dem 60. Jahrestag der Volksrepublik China auf dem Tian’men Platz aufgenommen. Zu sehen sind u.a. einige Motivwagen von der Parade am 1. Oktober

Gäste

In diesem Jahr bekamen wir viel Besuch aus Deutschland (und der Schweiz) – auch wenn nicht alle, die sich angekündigt hatten, gekommen sind.

Gäste sind eine willkommene Abwechslung im nun doch schon Alltag gewordenen Leben hier in Peking. Sie machen mir immer wieder deutlich, wie anders es hier ist. An vieles, das Gehupe, Durcheinanderfahren, die Menschenmassen, das Vordrängeln, die Lautstärke in Restaurants, die Gerüche der Menschen und der Umgebung habe ich mich längst gewöhnt.

Da ist es interessant, wenn die Gäste merkwürdige Fahrzeuge oder in unglaublichen Situationen schlafende Chinesen fotografieren, sich über günstigste Preise für Getränke, Schreibwaren oder Bücher wundern, die überall präsenten Sicherheitskräfte bemerken, die unendliche Zahl der modernen Malls und Hochhäuser in Peking betonen. Und manchmal wollen sie auch an Orte, die wir noch gar nicht wahrgenommen haben.

Viel schwieriger ist es, mit der Zeit noch zu wissen, welche Sehenswürdigkeiten man dem aktuellen Gast schon gezeigt hat und was noch nicht; was man selbst oder ein anderes Familienmitglied ihm bereits erzählt hat und auf welche wichtigen Einkäufe man ihn noch hinweisen muss. Besonders schwierig wurde dies, als unsere Tochter Friederike sechs Wochen lang da war, zunächst begleitet von einer Freundin, dann allein und anschließend mit ihrem Freund. Sie hat bestimmt manches mehrmals gehört und natürlich hat sie viele Sehenswürdigkeiten mehrfach gesehen – in wechselnder Begleitung.

Die schlimmsten Auswirkungen auf uns hat allerdings das allseits beliebte Essengehen. Manchmal denke ich, wir könnten mehr daheim kochen, aber unser Besuch will ja nun gerade keine deutschen oder italienischen Gerichte, wie sie bei uns üblich  sind, sondern alle wollen chinesisch essen, am liebsten einmal durch alle Provinzküchen hindurch. Und so essen wir Peking-Küche (inklusive  – Ente), Sichuan scharf, Yunnan fremd und exotisch, Hakka ursprünglich, Shanghai süß und essen und essen und essen jedesmal ordentlich chinesisch mit vielen verschiedenen Gerichten auf dem Tisch, bei denen jeder mit seinen Stäbchen zulangen darf (was alle Gäste schnell erlernt hatten). Außerdem gibt es noch wunderbarevietnamesische und thailändische Restaurants, der Inder kocht super lecker – und scharf! – und italienisch, deutsch oder vielfältig gesund kann man hier auch essen. Dazu wird so manches Glas Tschingdao (chin. Bier) geleert. Und wenn der Besuch weg ist, müssen wir dringend fasten.

Derzeit ist kein Besuch angekündigt. Wir haben auch eine etwas längere Fastenzeit sehr nötig.