Ganz China hatte mal wieder drei Tage frei: Drachenbootfest. Einer dieser freien Tage musste allerdings am Samstag vorgearbeitet werden. In manchen Firmen wurde auch am Sonntag gearbeitet. Dafür konnten alle von Montag bis Mittwoch wegfahren – und das machten natürlich auch alle, die es irgendwie bezahlen und noch einen Fahrzeugplatz bekommen konnten. Wir flogen nach Datong, unter uns immer die Lange Mauer, zusammen mit Astrid und Dieter, die auch seit Jahren in Peking leben. Dort empfing uns unsere Fremdenführerin namens Shakery und ein Fahrer. Datong ist häßlich und luftverpestet, deshalb fuhren wir gleich weiter, immer an der Mauer entlang, um in gelb-grüner Landschaft wieder durchatmen zu können. Shakery stiefelte mit uns die Hügel hinauf zu den Resten der Chinesischen Mauer, die hauptsächlich noch als Erdwall zu sehen ist, da die Bauern der Umgebung die Ziegel zum Häuserbau weiterverwendet haben. Über Stock und Stein kletternd erlebten wir die Mauer hautnah. In den wenigen Wehrtürmen fanden wir etwas Schatten und Kühle, ansonsten war es sehr sonnig und über 30 °C warm. Nach einigen Stunden kehrten wir zum Mittagessen in ein Lokal ein, in dem neben einigen Klapptischen und Hockern auch ein Bett stand. Vis a vis besuchten wir ein Lehmdorf, mit Mauerresten, Eselskarren und Dorfbrunnen. Weiter ging es zu einer Paßhöhe, an der laut Shakery Mao tse dong die japanischen Agressoren abgewehrt habe und von der es heiße, wenn dort nur ein Mann stünde, kämen 10.000 Feinde nicht rüber. Auf der anderen Seite liegt die Innere Mongolei – Hohhot ist nicht weit. Leider wurden hier gerade die Mauerreste und etliche weitere alte und neue Gebäude neu aufgebaut; eher nicht zu Abwehrzwecken, sondern zur Ankurbelung des Fremdenverkehrs. Gegen Abend besuchten wir noch ein Dorf, in dem es sehr ursprüngliche bewohnte Höhlenwohnungen gibt – in Mauerresten – aber auch andere nicht sehr luxuriöse Bauten, deren Bewohner uns zunächst skeptisch betrachteten, dann aber doch freundlich Bekanntschaft schlossen. Nur Shakery gefiel das nicht. So zogen wir irgendwann ab und bezogen unsere Hotelzimmer – wohl wissend, dass die nächste Nacht weniger bequem sein würde.
Früh morgens ging es weiter – trotz Navi fanden wir den Weg – über katastrophale Straßen, durch schreckliche Tunnel und an Massen von Kohlelastern vorbeifahrend zunächst zum Huang he, dem Gelben Fluss, der hier überhaupt nicht gelb ist, sondern grün – Stauwerke machen es möglich! Nach dem Beschreiten einer Hängebrücke setzten wir die Fahrt auf noch unangenehmeren Straßen, allerdings mit sehr wenig Verkehr, fort.
Und irgendwann erreichten wir die Alte Rinder Schleife, Laoniuwan, den Ort, an dem die Mauer zum ersten Mal auf den Gelben Fluß trifft. Da dieser hier aufgestaut ist, liegen sowohl ein Teil der Mauer wie auch das alte Unterdorf unter Wasser. Eindrucksvoll taucht dementsprechend die unrenovierte Mauer auf der einen Seite in den Huang he um auf der anderen, frisch wieder aufgebaut, in unzähligen Stufen den Berg hinaufzuziehen. Über allem thront ein altes Kastell und ein unbewohntes altes Dorf , das gerade tourismusgeeignet ummantelt wird. Wir kamen bei einem Bauern im neuen Dorf unter. Jedes Paar hatte einen Raum mit Kang und Tür zum Hof zur Verfügung. Ein Kang ist ein gemauertes Bett, das mithilfe eines danebenstehenden Ofen beheizt werden kann. Im Sommer ist es unbeheizt, aber hart. Bad gab es keines. Die Toilette war die gemeinschaftlich genutzte Bude mit zwei Löchern über dem Abgrund, im Hof stand eine Emailschüssel mit Wasser zum Waschen. Dafür entdeckten wir bei unseren Wanderungen durch die Umgebung einen Heuschober, der sich als Tempel herausstellte – mit wunderbaren Wandmalereien. Shakery war begeistert und muste es sofort dem Fremdenverkehrsbeauftragten melden. Als Astrid am nächsten Morgen dies auch sehen und fotografieren wollte, war es ihr leider verwehrt, da ein Bauer das stille Örtchen für seine Notdurft nutzte.Bislang dachte ich immer, nur den Kirchen in Russland wäre so etwas angetan worden. Mir ging es doch sehr nahe, dass ein heiliger Ort derart missbraucht wurde. Shakerys Begeisterung tat gut.
Am letzten Tag schlug das Wetter um, einen Marktbesuch konnten wir noch bei Sonnenschein genießen, eine alte Festung wurde leider wegen eines Donnerwetters schnellstbesichtigt. Trotz ewiger Kohlelasterschlange, die wir todesmutig überholten, erreichten wir pünktlich unseren „Kanonenkugelzug“, der uns in drei Stunden von Taijuan ins völlig verregnete Peking zurückbrachte – zurück in die Zivilisation.