Predigt vom 14.8. 2016 –

Predigt: Lk 13,10-17

Liebe Gemeinde,

von den Evangelienerzählern berichtet nur Lukas diese Begebenheit aus dem Leben und Wirken Jesu, über die bislang kaum gepredigt wurde:

dabei ist es von Anfang an wie bei uns gerade: die Gemeinde trifft sich zum wöchentlichen Gottesdienst.

Die verschiedensten Menschen kommen zusammen:

jung und alt, krank und gesund, glaubensstark oder -suchend, regelmäßige oder spontane Gottesdienstbesucher.

Und Lukas beginnt:

Immer am Sabbat lehrte Jesus in einer der Synagogen.

Er war ja wandernd mit seinen Freunden unterwegs, so predigte er immer wieder an anderen Orten, vor unbekannter Gemeinde, aber den Gottesdienst ließ er nirgendwo aus.

Eine Gottesdienstbesucherin wird besonders vorgestellt:

Da war eine Frau,

ein Name wird nicht genannt, unwichtig? unbekannt?,

nur eine Frau, und dann auch noch so eine:

die seit achtzehn Jahren von einer schweren Krankheit geplagt wurde.

18 Jahre, das ist ein ganzer Lebensabschnitt.

Eine chronische Erkrankung,

die immer weiter voranschreitet, die sie plagt und quält,

eine Behinderung,

die das Leben einschränkt und berufsunfähig macht,

in die Armut führt, in die Einsamkeit,

die die Attraktivität raubt und Nichtbeachtung zur Folge hat.

Die Umgebung gewöhnt sich an das Bild, schaut nicht mehr hin.

Eine verkrümmte Frau.

So namenlos steht sie für viele Frauen, nicht nur die kranken.

Das Vertrauen in die eigenen Kräfte zerstört von herrischen Chefs und Kollegen,

erniedrigenden Ehemännern,

zickenden Kolleginnen.

Das niedrigere Gehalt, der weibliche Beruf klären über das eigene Ansehen auf.

Mit den Problemen als Alleinerziehende von der Politik bislang allein gelassen, erkennen wir die fehlende Lobby der Frauen und Mütter.

Die Reduzierung auf das Aussehen, die Stimmlage oder das Alter bei gleichzeitiger Nichtbeachtung von Wissen und Kompetenz machen bis heute deutlich, dass Frauen immer wieder anders beurteilt werden als Männer.

Ja, da sind die Geister, die krank machen und krümmen.

 

und Lukas stellt fest: sie konnte sich nicht mehr gerade aufrichten.

Das bedeutete für sie :

Sie sieht kein Ziel, nur, was vor Füßen liegt.

Erst recht sieht sie keinen Himmel, keine Hoffnung, keine Zukunft.

Sie sieht niemanden, kann keinem ins Gesicht sehen

und wird so auch selbst nicht gesehen.

Ihr Wesen, ihr Name, ihre Identität bleibt verborgen.

Eine Äußerlichkeit allein beschreibt sie: die verkrümmte Frau. Und doch hat sie den Mut, in die Öffentlichkeit zu gehen und versteckt sich nicht in den eigenen vier Wänden.

 

Als Jesus sie sah, rief er sie zu sich.

Ja, er sieht sie, sie fällt ihm auf in dieser Gemeinde, die ihm doch insgesamt unbekannt sein muss. Sie hatte nichts unternommen, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Es wird nicht berichtet, dass sie ihn gesucht hätte oder seinetwegen extra gekommen sei.

Doch er hat einen Blick für die, die ihn brauchen, für die Benachteiligten, für die gebundenen und bedrückten.

Sie kommt aus der Masse der ZuhörerInnen heraus, nach vorn zu ihm, dem Lehrenden, alle können sie nun sehen. Sie steht an exponierter Stelle, sicherlich eine Position, die sie bislang vermieden hat.

 

Er sagte zu ihr:

»Frau, du bist von deiner Krankheit befreit!«

Da wird kein langer Heilungsprozeß in Gang gesetzt, es geschieht direkt, mit ganz wenigen Worten, und Jesus nennt beim Namen, was hier tatsächlich passiert: eine Befreiung des ganzen Menschen.

 

Und er legte ihr die Hände auf.

Er fasst sie an. Wie lange wurde sie nicht mehr berührt!

Als wäre sie ansteckend.

Seine segnende Hände unterstützen die Worte.

Er berührt mit Worten, mit Händen.

Körper und Geist werden von ihm erreicht.

Er macht ihr Mut zum „aufrechten Gang.“

 

Sofort richtete sie sich auf.

Kein Zweifel, kein Zögern, kein zaghafter Versuch.

Sie ergreift sofort die Chance. Sie wird selbst aktiv!

 

und lobte Gott.

Nicht Jesus, Gott wird gelobt. Ihr ist klar: dieser Mann handelt im Namen Gottes, obwohl er es nicht dabei gesagt hat. Aber zuvor hatte sie ihm ja zugehört. Sie weiß- im Gegensatz zu uns – was er gerade gelehrt hat, über welchen Abschnitt er gepredigt hat.

 

Liebe Gemeinde, wir könnten nun erwarten, dass sich die ganze damalige Gemeinde dem Lob anschließt, immerhin hat sie ein Wunder erlebt, aber da ist nichts von großem gemeinsamen Loben zu lesen, sondern nur:

Der Leiter der Synagoge ärgerte sich darüber,

dass Jesus die Frau an einem Sabbat geheilt hatte.

Deshalb sagte er zu der Gemeinde:

»Es gibt sechs Tage, die zum Arbeiten da sind.

Also kommt an einem dieser Tage,

um euch heilen zu lassen –

und nicht am Sabbat

Die Ordnung des Gottesdienstes ist gestört.

Die Heiligung des Sabbats in der Synagoge nicht eingehalten.

Er, der Leiter des Gotteshauses, ist genau dafür verantwortlich. Und so schreitet er ein, kann sich nicht freuen, sondern nur zur Ordnung gemahnen.

Was darf man im Gottesdienst, was nicht?

Wie menschlich dürfen wir anderen begegnen,

welche Gesetze müssen wir beachten?

Wie ist das mit dem Kirchenasyl?

Wie geht Kirche mit ihren MitarbeiterInnen um?

Wer darf getauft werden?

Menschlichkeit, Liebe, Recht und Ordnung – was gilt bei uns?

Und so ist es gar nicht so merkwürdig, dass der Synagogenleiter seine Mahnung nicht an Jesus richtet, sondern an die Gemeinde. Offensichtlich will er sich nicht mit ihm, der die Schrift auslegt, anlegen, sondern seine Gemeinde mit sich auf den Weg nehmen.

Aber der tatsächliche Adressat seiner Mahnung fühlt sich angesprochen und antwortet ihm in gleicher Weise, indem er alle anspricht:

 

Doch Jesus sagte zu ihm: »Ihr Scheinheiligen!

Jeder von euch bindet am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Futterkrippe los und führt ihn zur Tränke.

Aber diese Frau hier, die doch eine Tochter Abrahams ist, hielt die Krankheit gefesselt –

sogar achtzehn Jahre lang!

Und sie darf am Sabbat

nicht von dieser Fessel befreit werden?«

 

Jesus macht es an einem alltäglichen Beispiel, das jeder kennt und bei dem jeder die Notwendigkeit einsieht, deutlich.

Die lebensfeindlichen Fesseln müssen und dürfen am Sabbat gelöst werden.

 

Der berühmte Rabbiner Abraham Joshua Heschel lehrt dazu: „Ständige Strenge kann den Geist des Tages ernstlich dämpfen, aber Leichtfertigkeit würde ihn sicher auslöschen…“

 

Der Sabbat ist „eine Gelegenheit,

unser zerrissenes Leben zu heilen,

Zeit zu gewinnen, nicht zu vertreiben.“…

“Der ganze Mensch, alle Bereiche seines Seins,

müssen an dem Segen teilhaben.“

 

Als Jesus das sagte, schämten sich alle seine Gegner.

Und damit geschieht eine zweite Befreiung:

Die Befreiung aus den Fesseln einer Gebotsauslegung,

die Menschen einengt und knechtet.

Jesus macht deutlich:

Der Sabbat ist euch gegeben und nicht ihr dem Sabbat.

So ist es mit allen Geboten: Gott hat uns seine Gebote wissen lassen und ans Herz gelegt, damit wir mit Gott und den Menschen in Liebe leben können.

Und die dort Versammelten freuten sich

über die wunderbaren Taten, die Jesus vollbrachte.

 

Die gekrümmte Frau steht nicht allein

mit ihrem eingeschränkten Blickfeld auf den Boden,

auf die niederen Dinge,

auch der Synagogenleiter, die Gemeinde stehen da,

gebunden und gefesselt von dem, was ihr Leben bestimmt:

die Krankheit, die Gebotsauslegung.

Alle brauchen die Befreiung von den Fesseln,

die am Blick zum Himmel hindern.

Denn ein krümmender Geist kann so auch den Blick

und den Kontakt zu Gott versperren.

Jesus macht die Fesselung deutlich, stellt sie heraus:

Ruft die Frau nach vorn, führt mit Alltagsbeispielen zur Erkenntnis und Scham.

Jesus bringt die Lösung, die Erlösung.

Er macht frei zum Leben.

Das ist seine Mission.

Jesus ist das menschgewordene Wort Gottes.

Jesus erinnert mit allem, was er sagt und macht, an Gottes Wort, und schließt es den Menschen auf, mit Worten, mit Taten.

So können wir Christen in und mit unserem Leben zeigen,

was es heißt, Befreit von den Bindungen dieser Welt,

als Kinder Gottes, auf Gott vertrauend, mit anderen menschen voller Hoffnung, Liebe und Zuversicht zu leben.

 

Wie es ja auch in der Lesung

aus dem Prophetenbuch des Jesaja laut wurde:

nun spricht Gott so:

Ich habe dich geschaffen, Jakob, und dich gebildet, Israel:

Hab keine Angst, denn ich habe dich befreit,

ich habe deinen Namen gerufen, zu mir gehörst du.

Wenn du durch Wasser gehst, bin ich bei dir,

und Wasserströme überfluten dich nicht.

Wenn du durch Feuer gehst, verbrennst du nicht,

und die Flamme versengt dich nicht.

Denn ich bin Gott, deine Gottheit,

heilig in Israel, dir zur Rettung.

 

Trauern hat seine Zeit

Das Telefon klingelt – ein ganz bestimmtes Bestattungsinstitut ist dran. Als erstes höre ich drei theatralische Entschuldigungen, mir schwant, was jetzt kommt.
Frau — ist gestorben und soll am Freitag beigesetzt werden zu der und der Zeit. Ich frage nach, wann sie denn gestorben sei. Vor 12 Tagen! Ich kenne nur einen Bestatter, der mich nicht umgehend von einem Sterbefall informiert, damit wir den Termin für Trauerfeier und Beerdigung gemeinsam! absprechen. Ich habe mich bereits einmal sehr offiziell darüber beschwert. Denn die Angehörigen haben ein Recht auf zeitnahe Seelsorge und verlassen sich auf den Bestatter, dass er mich informiert. In den nächsten drei Tagen habe ich schon zwei Beerdigungen, zwei Taufgespräche und weitere Termine, wann soll ich die Trauer-familie besuchen, wann die Traueransprache schreiben? Was nun? Eine Kollegin ist seit heute aus dem Urlaub zurück. Da müsste doch noch Platz im Terminkalender sein.
Zehn Minuten später – der nächste Bestatter, die nächste Beerdigung. Diesmal soll ich beerdigen in Vertretung für einen Kollegen. Die Beerdigung soll in zweieinhalb Wochen stattfinden, der Kollege kommt in einer Woche aus dem Urlaub zurück. Doch bis dahin soll die Trauerfamilie nicht warten, weder mit dem Trauergespräch noch mit den Karten. Aber am vorgesehenen Beisetzungstag bin ich nicht in Essen – was nun? Eine Kollegin ist seit …
Urlaubsvertretungen bei Beerdigungen führen schon zu merkwürdigen Gesprächen: Im Nachbarstadtteil ist jemand verstorben und soll unbedingt vom Ortspfarrer beigesetzt werden. Der ist bis einschließlich Donnerstag im Urlaub. Nun, dann kann er ja am Freitag beerdigen, meint der nächste Bestatter, der mich nach der vierten Beerdigung in einer Woche auf dem Friedhof anspricht. Ich widerspreche: Wann soll der Pfarrer ein Trauer-gespräch führen, wann die Ansprache schreiben, wann erfährt er überhaupt, dass er zu beerdigen hat? Denn er ist nicht erreichbar. Gut, er habe verstanden. Dann eben am Montag, meint der Bestatter. Ich widerspreche erneut: Der Zeitraum ist immer noch zu knapp. Nach Rücksprache mit der Trauerfamilie, die ja auf jeden Fall schon vier Wochen mit der Urnenbeisetzung zu warten bereit ist, wird es der Mittwoch. Gut, das halte auch ich für möglich. Zwei Tage später erneuter Anruf bei mir: Die e-mail mit den Informationen zum Sterbefall für den Kollegen ist zurückgekommen. Ob sie mir alles zusenden können. Ich frage, wozu das dienen soll. Naja, wenn der Kollege dann doch verhindert sei, könnte ich …., weiter kommt die Angestellte nicht mehr, denn mir platzt bald der Kragen: ich bin seit Tagen gerne bereit, diese Beerdigung zu übernehmen und mit der Familie Kontakt aufzu-nehmen – aber nicht zwei Tage vor der Beerdigung.
„Ich hab da mal eine Frage,“ meldet sich das nächste Bestattungsinstitut. „Ich bin auf der Suche nach einem Pfarrer, einer Pfarrerin, die am Samstag beerdigt.“ Offensichtlich sucht man irgendeinen. Doch die meisten Kollegen, auch ich, meinen, die Woche hat genug Tage, an denen beerdigt werden kann. Nur weil die Stadt gemerkt hat, dass sie sich den Samstag besonders teuer bezahlen lassen kann, lassen wir uns nicht unseren einzigen, manchmal wirklich freien Ruhetag nehmen. Und wenn es in der eigenen Gemeinde eine besondere Situation gibt, sodass nur der Samstag in Frage kommt, dann wird die Ausnahme schon möglich gemacht.