Mitten im August machen wir uns auf den Weg in Chinas Wüsten. Wir sind diesmal: Klaus, Friederike, Tina und ich. Nach dreieinhalb Stunden Flug erreichen wir Ürümqi, am Rande der Wüste Gobi, ganz weit im Nordwesten Chinas. Unser Reiseleiter empfängt uns und führt uns erstmal ins Museum, zum Kennenlernen der Geschichte und der Volksgruppen dieser Region, die offensichtlich nicht sehr chinesisch ist. Aber im Museum gibt es einen kleinen Stoffstreifen, auf dem tatsächlich etwas in chinesischen Schriftzeichen geschrieben steht, und der schon sehr alt ist und hier gefunden wurde. Damit steht fest: altes chinesisches Herrschaftsgebiet. Neben diesem liegt allerdings etwas in griechischer Schrift, auch hier gefunden. Altes griechisches Herrschaftsgebiet? Mich wundert es nicht, dass an einer alten Handelsstraße sehr unterschiedliche Fundstücke zu entdecken sind. Territoriale Besitzansprüche sind damit aber wohl nicht zu begründen. Kein Wunder, dass die muslimischen Uiguren und Tadschiken, die hier zu Hause sind, sich gegen die chinesische Herrschaft auflehnen. So sind viele Soldaten und Polizisten unterwegs, alles Han-Chinesen. Und wir lernen: wer etwas werden will oder studieren möchte, muss in die Schule gehen, in der als erste Sprache Chinesisch gelehrt wird. Dabei sprechen die Menschen hier eher eine Abart des Türkischen, aber mit Uigurisch als erster Schulsprache kann man höchstens Bauer oder Handwerker werden. Damit gehört man in China zur Unterschicht – das ist nicht meine Wortwahl, sondern die ganz offizielle. Ich möchte nicht vergessen zu erwähnen, dass wir im Museum auch noch eine besondere Attraktion zu sehen bekommen: Wüstenmumien, recht gut erhalten. Sie können durchaus mit Ötzi mithalten, den ich vor einigen Jahren in Bozen betrachten durfte. Ich weiß überhaupt nicht, warum diese Menschen nicht in ihren Gräbern bleiben durften. Von Totenruhe kann in gut besuchten Museen keine Rede sein. Anschliessend geht es zu einem sehr fleischbetonten Abendessen – trotz Ramadan – , etwas arabisch angehaucht, und danach dürfen wir wieder ein Flugzeug besteigen und fliegen eine Stunde nach Süden, um in Kashgar zu landen. Kashgar ist im Gegensatz zu dem sehr modern wirkenden Ürümqi eine alte Stadt, auch wenn die Behörden gerade versuchen, die alten Häuser zu zerstören, um die Straßen breiter und die Altstadt überschaubarer zu gestalten. Sie sprechen von Feuergefahr und Hygienemaßnahmen und zerstören wunderschöne Gebäude und altes Kulturgut. In Kashgar besuchen wir die Grabstätte von Abakh Khoja, den die Uiguren als Sayid, einen Nachfahren des Propheten Mohammed verehren und die größte Moschee im Lande, sehen zu wie am Ramadan-Abend das Fastenbrechen stattfindet, essen im Anwesen einer sicherlich etwas wohlhabenderen Familie unter Weinranken Hammelfleischspieß, Joghurt, Fladenbrot, Melonen etc., doch die größten Attraktionen dieser Stadt sind 1. der sonntägliche Viehmarkt, zu dem Tausende von Bauern und Händlern anreisen, zu Fuß, per Eselskarren, Kleinlaster, Großtransporter, um ihre Schafe, Ziegen, Esel, Rinder, Yaks etc. zu verkaufen, 2. der Basar, auf dem alles, einfach alles zu erwerben ist und der am Sonntag von den Frauen heimgesucht wird, die mit ihren Männern in die Stadt gekommen sind, 3. die Altstadt, in der wir den Handwerkern zusehen können, wie sie ihre Kupferkessel verzieren, Holz biegen, Instrumente herstellen oder Zähne ziehen. Doch, doch, Zahnbehandlung sieht hier nach Handwerk aus, nicht einmal Kunsthandwerk, erst recht nicht Heilkunst. Man erlernt es in zwei Monaten. Wir haben den Eindruck in einer arabischen Welt zu sein, aber nicht mehr in China. Kein Wunder – in Kashgar sind über 80 % der Bevölkerung Tadschiken und Uiguren. Wer es nachempfinden will, sollte sich den Film Drachenläufer ansehen, der in Kashgar gedreht wurde, auch wenn die Handlung eigentlich in Afghanistan spielt. Die afghanische Grenze ist ja auch nicht weit. Und auch Pakistan ist nicht weit, das gerade durch Regenfluten unterzugehen droht. Auch diesseits des Pamir gab es starke Regenfälle und so ist bis zum Abend vor unserer Abfahrt Richtung Taschkurgan nicht klar, ob die Straßen wieder befahrbar sein wird. Doch wir fahren los, neben der Straße schlängelt sich ein Flüsschen durchs Gelände. Je weiter wir kommen, desto schmaler wird das Tal, desto reißender der Fluss. Und dann ist es soweit: die Straße ist weggebrochen, wir fahren durchs Gelände, unter uns „Sandkastensand“, neben uns Lehmhäuser, vor und hinter uns schwer beladene Lastwagen. Wir kommen durch, auch an der nächsten Bruchstelle und auch über die überschwemm-ten Straßenabschnitte. So erreichen wir den Karakulsee, zu Füßen des über 7000 m hohen schneebedeckten Berges Muztagata. Unsere jungen Damen üben sich hier im Kamelreiten, wir bewundern die tolle Landschaft. Der zu überwindende Pass ist über 4000 m über dem Meeresspiegel gelegen, was den zahlreichen Murmeltieren offensichtlich nichts ausmacht. Bevor wir Taschkurgan erreichen müssen wir noch eine Passkontrolle durchlaufen, da wir uns im unüberschaubaren Grenzgebiet des Karakorum Highway befinden. Endlich erreichen wir die letzte chinesische Stadt vor der tadschikischen Grenze. Taschkurgan bietet neben einem sehr netten Hotel mit bestem Essen einige Besonderheiten: zum einen gibt es den steinernen Turm, oder die „steinerne Stadt“, eine riesige Ruine, von der man nicht genau weiß, ob sie Burg oder Tempel war. Bereits Ptolemäus hat sie vor 2000 jahren erwähnt, als letzten bekannten Ort auf der Seidenstraße – von Rom aus gesehen. Und auch für Chinesen soll es der letzte bekannte Ort der Seidenstraße gewesen sein. Hier am Ende der Welt findet man zudem ein wunderbares Grasland, also eine von einem Flüsschen durchschlängelte Wiesenlandschaft, getupft mit Zelten und belebt mit Ziegen, Schafen, Yaks und Kamelen. Und vielen Soldaten. Wir erleben sie allerdings nur singend. Auf unserem Rückweg wird das Wetter besser, die Straßenverhältnisse verschlechtern sich und Abdul erwägt, uns einen zeitlich gesperrten Straßenabschnitt zu Fuß passieren zu lassen und einen zweiten Wagen zur Abholung auf die andere Seite zu bestellen. Doch dann ist die Passage wieder möglich und wir kommen doch noch pünktlich in Kashgar an, um weiterzufliegen. Unsere nächsten Ziele sind Tuyu Gully und Turpan. Auf schnurgerader Strecke fahren wir an unzähligen Windrädern und Riesen-LKW vorbei nach Turpan, einer Oasenstadt in der Nähe der Wüste Gobi. Hier wachsen vor allem Weintrauben und Melonen bewässert durch ein einmaliges System von aus Brunnen gespeisten unterirdischen Kanälen – Karez genannt. In speziellen Trockenhäusern hängen die Trauben und werden zu Rosinen. Auch der hiesige Wein schmeckt prima. Turpan ist übrigens der dritt-tiefste Ort auf unserer Erde, 155 m unter dem Meeresspiegel. Rundherum ist steinige Wüste, die heißeste Gegend Chinas, und wir fahren an den „Flammenden Bergen“ vorbei nach Tuyu Gully, einem sehr alten, aus Lehmbauten bestehenden noch bewohntem Dorf, in dessen Nähe es sehr viele Höhlen gibt, die einst mit Buddhastatuen und ähnlichem gefüllt waren. Einige, besonders deutsche, Forscher haben diese Figuren gestohlen und nach Berlin gebracht, wo sie während des 2. Weltkrieges entweder zerstört oder geraubt wurden. Wir passieren bizarre Felsformationen, gelangen in die Sandwüste und erleben den Sonnenuntergang auf einer riesigen Düne. Jiaohe, eine Ruinenstadt aus dem 2. Jhd vor Chr., die wir am nächsten Tag besuchen, zeugt von der frühen Besiedlung dieses Gebietes, der Bedeutung ehemaliger Königreiche und den Fähigkeiten seiner Bewohner. Es ist unglaublich heiß, aber unser Reiseleiter meint, es sei noch kühl, nur 37 Grad im Schatten. Es könnten auch um die 50 sein. Das Emin Minarett in Turpan ist ein weiteres ganz besonderes Bauwerk. Hier in der Moschee fallen uns die Überwachungskameras auf. So können die Behörden mithören und zudem überprüfen, dass niemand unter 18 Jahren in die Moschee kommt. Keine Religionsgemeinschaft darf in China Kinder religiös erziehen oder unterrichten. Für Buddhisten in Yunnan scheint es Ausnahmen zu geben. Vor unserer Abfahrt essen wir noch in einem Kellerrestaurant – schön kühl! – frisch gemachte tolle Nudeln, Fleischspieße und supersüße Melonen. Nach einer langen Autofahrt erreichen wir Ürümqi-Airport 5 Minuten vor Eincheckschluss. Aber wie alle Flüge zuvor, wird auch dieses Flugzeug mit deutlicher Verspätung starten. Noch eine Sicherheitsmaßnahme? An diesem Nachmittag gab es einmal mehr einen Anschlag in der Nähe von Ürümqi, der mehreren Uiguren das Leben kostete. Wir haben allerdings nur Polizei gesehen. Die alte Seidenstraße ist faszinierend, die politische Lage dort längst nicht gelöst. (Dieses Schreibsystem erkennt keine Absatzzeichen, daher die merkwürdigen Lücken)