China versinkt im Schnee

– ganz China? Nein, eine Hauptstadt im Norden, deshalb heißt sie Bei(Norden) Jing (Hauptstadt) trutzt allen Wetterangriffen. Täglich sehen wir die Schneekatastrophe im Fernsehen, bestaunen und bedauern die reisenden Massen, die in Bahnhöfen stranden und stellen uns vor, wie schrecklich es sein muss, wenn man als Wanderarbeiter nur einmal im Jahr nach Hause reisen kann, und nun irgendwo mit hunderttausend anderen Menschen wartet, ob es weiter geht und ob die Zeit noch reicht, um Heim zu kommen und wieder zurückzureisen. Hinzu kommt sicher noch die Sorge um die Familie, die eventuell ohne Strom bei Eiseskälte zurechtkommen muss. Und wo kommt die Kohle für den Ofen her, wenn Bahn und Straße nicht benutzbar sind? Und wie heizt man in Gegenden, in denen es eigentlich nie wirklich kalt wird, jetzt aber Minusgrade herrschen? Wir bewundern die logistischen Leistungen, die die Helfer vollbringen, wenn sie Menschenmassen in Messehallen und Schulen unterbringen und versorgen.

Aber wir hier im eisigen, aber sonnigen Peking sehen das alles nur im Fernsehen. Wir merken, dass auf den Baustellen allmählich weniger gearbeitet wird und betrachten die vielen Geschenkpakete, die heimgetragen werden. Deutsche Freunde sprechen von dreiwöchiger intensiver „Sylvester“Knallerei und wir freuen uns drauf. Allerdings werden auch wir zwischendurch verreisen – hoffentlich ohne Schneechaos. An den Menschenmassen kommen wir bestimmt nicht einfach so vorbei, aber es muss ja noch anderes geben als dieses strahlende Beijing, dass außer zugefrorenen Seen nur kleine Eisflächen zu bieten hat, weil eifrige Ayis das Putzwasser rausschütten.

Ein Ort, der sich zur Zeit zum Verreisen anbietet, ist Harbin, weit im Norden an der russischen Grenze. Bekannte waren dort und erzählten begeistert von dicksten Daunenjacken, Gesichtsmasken und mehreren Sockenschichten in Moonboots. Dafür kann man eine ganze Stadt aus Eis besuchen und aus Eiskelchen trinken etc.

Wir werden den Süden vorziehen, den sonnigen, warmen Süden. Und wir werden fliegen.

Happy New Year

Chinesen scheinen das Schmücken zu lieben. Je mehr, desto besser. Die Weihnachtszeit in unserer Wohnumgebung war von täglichen Überraschungen geprägt: Im Foyer unseres Hauses wurden Anfang Dezember große Schneekristalle aufgehängt und eine weihnachtliche Winterlandschaft aus Styropor und Plastik aufgestellt. Am nächsten Tag hingen ein paar Kugeln in den Bäumen des Parks. Dann wurde ein Lichterbaum aufs Rondell gebaut. Als nächstes standen an den Einfahrten auch noch Lichterbäume. Adventskränze ohne Kerzen hingen an manchen Shopfenstern und dann bekam auch noch jede zweite Parklaterne eine silberne Schleife. Ein paar Tage später umkreisten auf dem Rondell leuchtende Schwäne den Lichterbaum und Lichterketten hingen an der Steineinfassung. Die Straßenabsperrung erhielt ein neues Outfit mit einem künstlichen Schneewall, dessen Aushöhlungen von innen beleuchtet waren. Alle Straßenbäume wurden noch einige Tage vor Weihnachten mit Lichterketten üppig ausgestattet- im deutschen Radio hatte ich gehört, dass Millionen von Lichterketten aus China nicht durch den Zoll gekommen seien wegen mangelnder Sicherheit… und die Riesentransparente mit Merry Christmas durften auch nicht fehlen. Zum Schluss tanzten noch die Weihnachts- mit den Schneemännern über die Deckenleinwand von The Place.

An Sylvester hing und stand all das immer noch rum und wir überlegten, wie lang es wohl so bleiben möge. Nun, pünktlich am 7. Januar wurden die Adventskränze abgehängt und die Schneekristalle verschwanden aus dem Foyer und auch die Schneelandschaft. Stattdessen zogen Fische und Mäuse ein. An den Fenstern hängen sie, aus rotem Papier geschnitten, und weisen auf das Jahr der Maus, bzw. eigentlich Ratte, hin, das am 6. Februar beginnt. Die Fische verheißen Reichtum im neuen Jahr, die Farbe rot steht für Glück, das auch überall aufgeschrieben steht. Ja, und dann kam die Weihnachtsbaumalternative: rote Lampions mit Goldquasten, sehr schick und sehr groß, und die wunderbaren Knotengebilde und all die anderen Neujahrsüberraschungen. In den Geschäften gibt es rote Glückwunschkarten zu Neujahr und natürlich kleine rote Tüten, die man mit Geld füllen kann, als Neujahrsgeschenk. Denn Geschenke sind wichtig zu Neujahr! Wir müssen uns noch unbedingt schlau machen, ob wir und wem wir etwas zu schenken haben. Natürlich haben wir zu Weihnachten Geschenke verteilt.

Übrigens die Lichterketten und Kugeln hängen immer noch, nur die Transparente sind ausgewechselt: Happy New Year steht drauf, oder etwas sehr langes auf chinesisch, das ich nicht entziffern kann. Ich muss sicherlich nicht betonen, dass in total chinesischer Umgebung von Weihnachten nichts zu sehen war. Aber jetzt muss ich doch mal wieder nachsehen, ob das chinesische Neujahr überall seine Spuren legt. Seit gestern liegt Schnee – für die abergläubischen Chinesen bedeutet ein verschneitet Neujahr ein glückliches neues Jahr.

Chinesische Fahrkünste

Nach 3 Monaten kennt man seinen Fahrer und weiß auch, wie er fährt. Auch die Straßenregeln sind nicht mehr allzu unbekannt. Wenn man nicht im Stau stecken will, sollte man am besten nicht morgens zwischen 6-9 Uhr und nachmittags von 4-8 Uhr fahren. Während dieser Zeit gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit vorwärts zu kommen, nämlich jede Lücke ausnutzen, die irgendwie so breit ist, dass man gerade eben mit dem Auto reinpasst. Wenn dann auch noch Unmengen von Taxen und Bussen fahren, wird es ganz lustig. Da heißt es, nur ruhig bleiben.

Bei unserem Fahrer ist das allerdings nicht immer so ganz einfach, ruhig zu bleiben. Er macht so einige Dinge auf den Straßen, bei denen die deutsche Polizei die Krise kriegen würde. Zum Beispiel überholt er liebend gern rechts und fährt auf Fahrradwegen. Wobei man sagen muss, dass er da nicht der einzige Chinese ist. Doch das Beste kommt noch. Angenommen du stehst auf einer vollen Straße, willst gerade aus fahren und ganz weit hinten ist eine rote Ampel. Doch die Geradeausspur ist dicht. Aber auf der Linksabbiegerspur ist noch jede Menge Platz. Dann fährt unser Fahrer einfach erstmal geradeaus auf der Linksabbiegerspur, obwohl er ja eigentlich geradeaus fahren soll, und wenn er denkt, dass er nun weit genug vorne ist, drängelt er sich mit Gehupe in die Reihe und fährt ganz normal weiter. Damit hat man mal eben so 20 Autos überholt. Das lohnt sich schon. Meistens ist das schon ganz schön unverschämt. Doch Gott sei Dank, kann uns im Auto keiner sehen, da die Scheiben verdunkelt sind.

Luxus und Dekadenz

Der letzte Betriebsausflug mit den MitarbeiterInnen aus Essen hatte Haltern am See zum Ziel und eine Ausstellung im dortigen Römermuseum mit dem Titel „Luxus und Dekadenz“. Dass ich so schnell den heutigen Luxus und die dazugehörige Dekadenz im kommunistischen China erleben würde, hätte ich nicht gedacht.

Manches ist hier wirklich einfach nur noch dekadent. In dem Stadtgebiet Pekings, in dem wir wohnen, werden derzeit spektakuläre Hochhäuser gebaut und unzählige Bauarbeiter, wahrscheinlich auch sehr viele Wanderarbeiter, sind damit Tag und Nacht beschäftigt. Sie wohnen in Zelten oder Containern am Rande der Baustellen. Man sieht ihnen an, dass sie es nicht leicht haben in ihrem Leben. Mager, schmutzig, müde sehen sie aus.

In den bereits fertiggestellten Hochhäusern daneben aber herrscht der reinste Luxus. In den „China World“-Hochhäusern, die mit dem höchsten Haus Pekings gerade den dritten Komplex dazugestellt bekommen, kann man an Shops von Lagerfeld, Prada, Gucci, Dior, Chanel, Cartier etcpp vorbeiwandeln und sich fragen, wer das Zeug kaufen soll. Anscheinend gibt es aber Kundschaft, wenn ich auch keine gesehen habe.

Zu Sylvester war Klaus zu einem Abschiedsessen eingeladen – im „Goldenen Jaguar“, einem Büffet-Restaurant riesigen Ausmasses im obersten Stockwerk von „The Place“, dem Komplex mit der Riesendachleinwand. Hier kann man essen, was und so viel das Herz begehrt: chinesisch, japanisch, indisch, koreanisch, … und auch europäisch. Da liegen die Austern neben den Sushispezialitäten und warten darauf, ausgewählt zu werden. Sicherlich hundert Köche und Bedienpersonal erfüllen der Kundschaft alle Wünsche. Während draußen die Arbeiter den Henkelmann mit Reis gefüllt bekommen und so mancher Bettler um einen Kuai (= 10 Cent) bittet, häuft man sich hier zehn Austern, rohen Thunfisch in Mengen und mir völlig unbekannte Spezialitäten auf den großen Teller.

Ich frage mich immer wieder: wie schafft es eine Gesellschaft nur, diese Extreme auszuhalten und friedlich miteinander zu leben.

Aber bei unseren Besichtigungstouren sehen wir natürlich auch den Luxus der Kaiserzeit und auch damals gab es Arme („Arme werdet ihr immer bei euch haben“). Wir bestaunen die Relikte der Vergangenheit und wissen um den Lauf der Geschichte.

Wo führt der Luxus hin, den auch wir manchmal mitgenießen?

Eigentlich aber genießen wir vielmehr die heißen – leider manchmal auch schon lausig kalten – gerösteten Kastanien und das aufgespießte und kandierte Obst der Straßenverkäufer. Und die kleinen Shops in der sogenannten „Ladies-Street“, in denen die Verkäuferinnen keine Langeweile haben, weil sie mit den Kunden um die Preise feilschen und schnell mal etwas ausbessern, wenn ein Knopf abfällt oder so, sind uns tausendmal lieber als Armani und Co.