Besuch im Polizeistaat

Am letzten Sonntag (auch der letzte Tag der Olympiade) hatten wir uns überlegt, wieder einmal den Houhei Park zu besuchen. Der Houhei Park ist ein Park mit einem großen See ziemlich zentral gelegen in Beijing. Zunächst sind wir mit der U-Bahn in die Nähe gefahren, um dann durch Nebenstraßen zum Park zu gehen.
Aber kaum kamen wir in die Nähe des Parks, war die Zugangsstraße durch ein Flatterband und viele Uniformierte abgesperrt. Zugang nur für autorisierte Personen. Nun ist an dieser Ecke auch eine Sportschule, so dass wir vermuteten, dass dort einige Olympioniken untergebracht sein könnten und deshalb die Umgebung abgesichert wird.
Wir gingen also etwas weiter, um über einen kleinen Umweg zum See zu kommen. Aber auch an den nächsten Zugängen das gleiche Bild: Flatterband und viele Uniformierte (Armee, Polizei, …). Nun ist der Houhei auch bei den Beijinger Bewohnern ein beliebtes Ausflugsziel für den Sonntag und dementsprechend viele Menschen standen ratlos vor den Absperrungen. Wir kamen mit einem jungen chinesischen Pärchen ins Gespräch, die zwar auch keine Erklärung hatten, aber meinten, Ausländer würden eingelassen. Unglaublich! Das wollten wir genauer wissen.
Also gingen wir zu einer der Uniformierten und fragten nach. Leider konnten wir weder eine Einladung vorweisen, noch hatten wir einen Tisch in einem der vielen Lokale am See reserviert. Trotzdem wurden wir nach kurzer Überlegung eingelassen. Das war ja schon etwas merkwürdig.
Richtig unwohl fühlte ich mich dann allerdings, als ich sah, wer im Park unterwegs war. Hunderte von Uniformierten: Polizisten in blau, Soldaten in grün, Miliz in gescheckt, … Alle paar Meter stand wenigstens ein Uniformierter und passte auf – auf dem See Boote mit Polizei und immer wieder grössere Gruppen von Uniformierten. Dazu auffällig viele in Zivil mit Kameras (wie etliche Polizisten auch).
Die Fotos, die in meinem Fotoalbum zu sehen sind, habe ich innerhalb weniger Minuten gemacht. Sie geben wenigstens einen Eindruck, von unserem Besuch im „Polizeistaat“ wider.
Auch nachdem wir den Park verlassen hatten, mussten wir feststellen, dass an der nächsten großen Kreuzung Autos durch Polizisten in kugelsicherer Weste und Stahlhelm kontrolliert wurden.
Im Laufe der Woche haben wir dann noch etwas Merkwürdiges erfahren. Ein anderer deutscher Bekannter, den wir kurz nach dem Verlassen des Parks trafen, wurde nicht eingelassen. Er hatte sich wenige Tage vorher nach einer Auslandsreise ordnungsgemäß bei der Hutong-Polizei zurückgemeldet und wurde daher von seiner Wohnbezirks-Polizistin erkannt. Als Ansässiger wurde er ebenfalls nicht eingelassen. Also wurden offensichtlich nur (Olympia-)Gäste aus dem Ausland eingelassen. Wir hatten wohl schlicht Glück, dass man uns nicht genauer kontrolliert hatte.
Alle Nachfrage bei Kollegen, Freunden und Bekannten erbrachte keine Erklärung für das „Warum“. Insbesondere nicht, wofür die Hunderte von Uniformierten im Park da waren. Was bewacht wurde oder wovor man Angst hatte, bleibt im Dunkeln.
Was bleibt, ist eine nachhaltige Erinnerung an den Besuch im Polizeistaat.

slowly, slowly

Urlaubszeit! Viele unserer Bekannten, die schon länger in Beijing leben und das Juliklima kennen, sind nach Europa geflüchtet. Manche haben auch keine Lust „auf das ganze Olympiaspektakel“ – wie sie sagen – und noch andere mussten reisen, weil die Visumverlängerung ausgesprochen schwierig gehandhabt wird. Wir aber haben uns entschlossen, zu bleiben, um alles mitzukriegen:

  • sämtliche „unsere Stadt soll schöner werden“-Aktionen,
  • die Verkehrsbeschränkungen – unser Wagen mit gerader Zahl am Nummernschild darf nur an geraden Wochentagen fahren ( doppelt gemein am 31.7./1.8.) –
  • all die Neueröffnungen…

Aber ein Kurzurlaub war dann doch angesagt: wir wollten in den kühleren Nordwesten zu den Hängenden Klöstern Shaanxis. Leider wurde die Fahrt abgesagt. Also: schnell etwas anderes gesucht. An die Küste fahren, wäre doch auch nicht schlecht. Da hatte ich mal was gelesen von einer schönen kleinen Insel mit einem interessanten Hinterland auf dem Festland. Küste, Strand und Meer – Charlie war begeistert. Hakkarundbauten, einmalig, Weltkulturerbe – Klaus war begeistert. Wir haben gebucht und schon meinte Charlies Freund: hen re = sehr warm. Darüber hatten wir gar nicht nachgedacht. Aber kann es wirklich so viel wärmer sein als in Beijing? Nicht wirklich. Aber eben auch nicht kühler.

Freitag morgens hieß es: schnell, schnell. Denn das feiji = Flugzeug, flog schon um 7.45 Uhr. Bei doppelten Sicherheitskontrollen am Flughafen und längerer Anfahrtszeit, weil alle derzeit sehr korrekt fahren, selbst die Taxifahrer, die seit neuestem alle das gleiche Hemd tragen, hieß das, mitten in der Nacht aufstehen. Aber es hat alles gut geklappt und wir saßen pünktlich im Flieger nach Xiamen, einer 2,5 Millionen Stadt an der Küste gegenüber von Taiwan. Nach zweieinhalb Stunden Flug erreichten wir einen sehr schönen Flughafen, mit live Klaviermusik, und eine ausgesprochen moderne Stadt. In der Empfangshalle wartete Simeng, Simon, auf uns mit einem Schild ausgestattet „Dr. BlaH“. Er hastete mit uns nach draußen, wo wir länger in der Hitze auf unser Auto warteten. Anschließend fuhren wir drei Stunden lang ins Landesinnere. Vorbei an Firmenniederlassungen von Linde und Kodak, später auch an großen Zementfabriken und Kohlezechen, hinein in eine Landschaft voller Bananen-, Reis- und Teeplantagen. Eine sehr gute, neue Straße wand sich den Berg hinauf und von oben konnten wir sie dann zuerst sehen: die Hakkarundbauten. Von außen Lehmwände, über einen Meter dick, von innen Holz, Platz für 150 bis 350 Menschen, auf mehrere Etagen im Rund verteilt. In den unteren, fensterlosen Etagen, werden die Vorräte gestapelt, die Tiere gehalten, gekocht und gewaschen, in den oberen wird geschlafen. Auf Privatsphäre darf man hier wahrscheinlich keinen besonderen Wert legen. Wir fuhren hinunter ins Dorf und bekamen erst mal was zu essen: Hühnersuppe. Ein halbes Huhn mit sämtlichen Innereien schwamm drin rum, außerdem ragte etwas weit heraus, das wie lange Spinnenbeine aussah, aber als Spezialgewürz, Zweige waren es, sehr empfohlen wurde. Wir probierten die sehr fette Brühe und waren aufs angenehmste überrascht: einfach ausgezeichnet, diese Suppe! Auf alles andere hätten wir verzichten können. Der „Spinat“, das sind die Blätter der Süßkartoffeln, schmeckte auch sehr gut, und natürlich der Reis. Simeng kam, und meinte „Doctor, slowly, slowly!“ und wir ließen uns Zeit beim Essen in diesem etwas anderen Restaurant: Privatraum schlichtester Art, aber: kühlender Ventilator. Denn es war „hen re“. Danach ging die Besichtigungstour los: größter Tu lou (Rundbau), ältester, schönster, und, auch das gibts: quadratischer. Womit bewiesen ist: die Quadratur des Kreises gelang vor 600 Jahren in China. Überall wähnte man sich in einer vergangenen Zeit. Mensch und Tier wohnten eng beieinander, gewaschen wurde mit dem hölzernen Waschbrett, im Innenhof wurde geschlachtet und gekocht, das Kind auf den Topf gesetzt und am Schrein der Ahnen gedacht. Simeng versuchte, uns möglichst flott durch die verschiedenen Bauten und Dörfer hindurchzulotsen, unser Fahrer fuhr wie ein Weltmeister, und immer mal wieder hörten wir: „Doctor, slowly slowly“.

Am späten Nachmittag rasten wir – so fern es die manchmal desolate Straße zuließ – zum Hotel nach Yongding. Es war gerade erst eröffnet worden, und wie wir zufällig bemerkten, noch nicht auf allen Etagen fertiggestellt. Unsere Zimmer waren allerdings sehr schön, das private Abendspeisezimmer mit eigenem Servierfräulein auch, allerdings war man hier wohl sehr selten mit Langnasenbesuch konfrontiert. Weder Schweineohren, noch ledernes Entenfleisch oder schwabbeliger Tofu konnten uns begeistern. Weder Englisch noch Mandarin-Chinesisch der Pekingerart halfen weiter bei der Nachfrage, was das denn alles sei, was wir da essen sollten. Das mühsam bestellte Bier wurde in kleinsten Weingläser ausgeschenkt, halbvoll. Und danach wurden wir draußen, wo direkt vorm Hotel ein kleines Volksfest stattfand, tatsächlich wie die Aliens angestarrt.

Am nächsten Morgen wurden draußen die Straßen gewaschen, Taiji geübt und wir bekamen drinnen ein typisch chinesisches Frühstück: grünen Tee und alle warmen Speisen, die man auch mittags und abends isst, plus Brei, außerdem etwas Kuchen und frisches Obst. Die letzten zwei Dinge waren unsere Rettung.

Und dann jagden wir auf holprigsten Staßen ins hinterletzte Hakkadorf. Aber es lohnte sich. Als erstes stiegen wir einen Berg per Treppe hinauf, um von einer Pagode aus aufs Dorf hinunter sehen zu können. Wir waren schweißgebadet. Dann durften wir über ein paar Steine hinweg ein Flüsschen überqueren, um ins Dorf zu gelangen. Der erste Tu Lou war nicht mehr bewohnt, dafür weit über 600 Jahre alt und wie ein Museum ausgestattet. Hier gab es auch eine lebende riesige, gelbgefleckte Würgeschlange zu betrachten, die man vor einigen Tagen im Wald gefangen hatte. Unter anderem zum Schutz vor solchen Tieren war man auf diese Bauweise verfallen. Der zweite, quadratische Tu Lou machte einen katastrophalen Eindruck: bewohnt von hauptsächlich alten Menschen und Kindern ( die jungen Erwachsenen arbeiten in den Städten oder in Übersee), dreckig und baufällig. Hier war mal wieder deutlich zu erkennen, welche chinesischen Eigenschaften den Bauwerken nicht gut tun: der Schmutz vor der eigenen Tür ist egal und bauerhaltende Maßnahmen kennt man nicht. Zu Mittag zauberte eine Dorffamilie eine köstliche Vielzahl chinesischer Speisen samt der berühmten Hühnersuppe für uns und wir aßen, genüßlich, in einer Art Garage neben einem recht neuen Motorrad.

Nun aber ging es schnell an die Küste, an unendlich vielen schwerstbeladenen Lastern vorbei, dafür so gut wie keine Privat-PKW, höchstens Mopeds mit drei Menschen Besatzung. Unser Hotel hatte einen Swimmingpool. So war trotz des schmutzigen Meerwassers schwimmen möglich und die Mahlzeiten waren auch für Langnasen wirklich lecker. Die kleine Insel, die wir am nächsten Morgen zusammen mit chinesischen Massen per Fähre besuchten, war das reinste Paradies im Kolonialstil. Um möglichst viele Menschen hinter uns zu lassen, drängelte sich Simeng am Anleger durch Hunderte schon Wartender bis vors Tor, wir immer brav hinterher, und keiner protestierte. Hier wird man bewundert, wenn man so drängeln kann. Uns war es eher peinlich. Und für Menschen mit Platzangst wäre die Situation zum Verzweifeln gewesen. Slowly, slowly, ging es flott über die Insel, hinauf zum Vogelpark, auf die Aussichtsklippen, ins Pianomuseum, durch die engen Gassen und natürlich pünktlich zum Mittagessen, damit wir nachmittags nicht hungrig im Flieger saßen.

Abends in Beijing war der Smog noch mal so schlimm wie je zuvor und der Taxifahrer fuhr uns durch den Stau des Airport-Expressways ganz slowly nach Hause. Doch, Beijing weckt in uns schon heimatliche Gefühle..