Ein Jahr China

Tatsache, ein Jahr China liegt bereits hinter uns – und? Hat sich was verändert?

Natürlich. Ich rede jetzt mal nur von mir – das muss doch jede selbst für sich festmachen. Beim Heimaturlaub wurden rote Ampeln ignoriert, dafür stand ich an jedem Zebrastreifen erstmal fest auf dem Fußweg und vergewisserte mich, dass weder Autos noch Radfahrer vorbeikamen. Selbst Auto fahrend musste ich mir ständig sagen: rechts fahren, links überholen und Rücksicht nehmen! In Peking wieder angekommen, mussten alle diese guten Grundsätze beim Radfahren sofort wieder vergessen werden. Ich habe den Eindruck, ich fahre aggressiver denn je zuvor, haue mich schneidenden Taxifahrern auf die Kühlerhaube oder gegen die Fenster und schimpfe lauthals – allerdings auf deutsch – trotzdem guckte sich neulich ein Fußgänger um, eine Langnase. Ob er mich verstanden hat? Peinlich! Nun ja, es wird jetzt deutlich kälter und die Radtouren werden abnehmen. Unser Fahrer ist ja auch wieder zurück aus dem Firmenurlaub. 2000 chinesische Bayeraner waren eine Woche lang in Macau – einschließlich einiger „weißer Geister“ und unserem Fahrer. Allerdings darf er dienstags nicht mehr fahren, im Oktober war es der Montag. An jedem Montag bis Freitag dürfen die Fahrzeuge mit je zwei bestimmten Kennzeichen-Endziffern nicht fahren (1+6,2+7,…) irgendwie muss Peking mit den Automassen fertig werden. Werden weiterhin so viele zusätzliche Fahrzeuge zugelassen, wird bald wieder die Olympia-Regelung eingeführt werden: nur noch jeden zweiten Tag.

Bei uns daheim heißt das zur Zeit: nur noch jede zweite Lampe. Es ist schon interessant, nach einem Jahr hat mehr als die Hälfte der Halogenlampen ihren Geist aufgegeben, die Wohnzimmerlampe verfügt nur noch über einen geringen Teil ihrer ursprünglichen Leuchtkraft, und vor einer Woche schaltete sich auch noch einfach das Internet aus. Es brauchte mehrere Fachleute, um rauszubekommen, dass wir einfach wieder bezahlen müssen. Rechnung haben wir zwar keine bekommen, aber wie beim Strom oder beim Gas merkt man ja dadurch, dass es nicht mehr funktioniert, dass mal wieder eine kleine Überweisung not tut. So was passiert natürlich, wenn der einzige Computerexperte im Haus in Macau weilt und auf meine Vermutung, es könnte am Geld liegen, deutlichst fernmeldet, das sei völlig abwegig. Jetzt warten wir darauf, dass unser Fernseher schwarz wird, denn die Bezahlung müsste jetzt auch auslaufen.

Allerdings, als ich neulich Gas nachkaufte, aus Deutschland zurückkehrend und nicht mehr kochen könnend, half das gar nicht. Erst ein seeehhhhrrrr verspäteter Hinweis meines derzeit noch in Deutschland weilenden Ehepartners – er habe nicht nur alle Stecker gezogen (mit Ausnahme meines Computersteckers – haha!) sondern auch das Gas abgedreht, brachte meine Suppe zum Kochen.

Ja, und dann stelle ich fest, dass ich mich hier natürlich zu Hause fühle, etliche neue Freundschaften haben sich in diesem Jahr entwickelt – leider verlassen die ersten FreundInnen schon wieder das Land – und es gibt so etwas wie einen alltäglichen Trott. Aber Tatsache ist auch, dass Deutschlandbesuche nicht gut tun – zumindest hinterher nicht. Ich hatte Heimweh. Dieses Leiden habe ich zuletzt mit 16 Jahren verspürt. Jetzt war es wieder da. Aber es ist vorüber. Der Alltag hat mich wieder. Ich lerne chinesisch, kämpfe gegen den Staub, trinke mein Käffchen mit Anne, male mit Sabine, Barbara und Gunhilde und singe mit fast hundert Leuten im Deutschen Chor. Am nächsten Wochenende geben wir zwei Konzerte: Carmina Burana – und noch bin ich erkältet. Irgendwie kenne ich das aus der Vorweihnachtszeit in Essen. Heiligabend war die Stimme aber immer wieder da – nächstes Wochenende besimmt auch und dann werde ich im Alt 2 deutlich zu hören sein. Ich freu mich drauf.