slowly, slowly

Urlaubszeit! Viele unserer Bekannten, die schon länger in Beijing leben und das Juliklima kennen, sind nach Europa geflüchtet. Manche haben auch keine Lust „auf das ganze Olympiaspektakel“ – wie sie sagen – und noch andere mussten reisen, weil die Visumverlängerung ausgesprochen schwierig gehandhabt wird. Wir aber haben uns entschlossen, zu bleiben, um alles mitzukriegen:

  • sämtliche „unsere Stadt soll schöner werden“-Aktionen,
  • die Verkehrsbeschränkungen – unser Wagen mit gerader Zahl am Nummernschild darf nur an geraden Wochentagen fahren ( doppelt gemein am 31.7./1.8.) –
  • all die Neueröffnungen…

Aber ein Kurzurlaub war dann doch angesagt: wir wollten in den kühleren Nordwesten zu den Hängenden Klöstern Shaanxis. Leider wurde die Fahrt abgesagt. Also: schnell etwas anderes gesucht. An die Küste fahren, wäre doch auch nicht schlecht. Da hatte ich mal was gelesen von einer schönen kleinen Insel mit einem interessanten Hinterland auf dem Festland. Küste, Strand und Meer – Charlie war begeistert. Hakkarundbauten, einmalig, Weltkulturerbe – Klaus war begeistert. Wir haben gebucht und schon meinte Charlies Freund: hen re = sehr warm. Darüber hatten wir gar nicht nachgedacht. Aber kann es wirklich so viel wärmer sein als in Beijing? Nicht wirklich. Aber eben auch nicht kühler.

Freitag morgens hieß es: schnell, schnell. Denn das feiji = Flugzeug, flog schon um 7.45 Uhr. Bei doppelten Sicherheitskontrollen am Flughafen und längerer Anfahrtszeit, weil alle derzeit sehr korrekt fahren, selbst die Taxifahrer, die seit neuestem alle das gleiche Hemd tragen, hieß das, mitten in der Nacht aufstehen. Aber es hat alles gut geklappt und wir saßen pünktlich im Flieger nach Xiamen, einer 2,5 Millionen Stadt an der Küste gegenüber von Taiwan. Nach zweieinhalb Stunden Flug erreichten wir einen sehr schönen Flughafen, mit live Klaviermusik, und eine ausgesprochen moderne Stadt. In der Empfangshalle wartete Simeng, Simon, auf uns mit einem Schild ausgestattet „Dr. BlaH“. Er hastete mit uns nach draußen, wo wir länger in der Hitze auf unser Auto warteten. Anschließend fuhren wir drei Stunden lang ins Landesinnere. Vorbei an Firmenniederlassungen von Linde und Kodak, später auch an großen Zementfabriken und Kohlezechen, hinein in eine Landschaft voller Bananen-, Reis- und Teeplantagen. Eine sehr gute, neue Straße wand sich den Berg hinauf und von oben konnten wir sie dann zuerst sehen: die Hakkarundbauten. Von außen Lehmwände, über einen Meter dick, von innen Holz, Platz für 150 bis 350 Menschen, auf mehrere Etagen im Rund verteilt. In den unteren, fensterlosen Etagen, werden die Vorräte gestapelt, die Tiere gehalten, gekocht und gewaschen, in den oberen wird geschlafen. Auf Privatsphäre darf man hier wahrscheinlich keinen besonderen Wert legen. Wir fuhren hinunter ins Dorf und bekamen erst mal was zu essen: Hühnersuppe. Ein halbes Huhn mit sämtlichen Innereien schwamm drin rum, außerdem ragte etwas weit heraus, das wie lange Spinnenbeine aussah, aber als Spezialgewürz, Zweige waren es, sehr empfohlen wurde. Wir probierten die sehr fette Brühe und waren aufs angenehmste überrascht: einfach ausgezeichnet, diese Suppe! Auf alles andere hätten wir verzichten können. Der „Spinat“, das sind die Blätter der Süßkartoffeln, schmeckte auch sehr gut, und natürlich der Reis. Simeng kam, und meinte „Doctor, slowly, slowly!“ und wir ließen uns Zeit beim Essen in diesem etwas anderen Restaurant: Privatraum schlichtester Art, aber: kühlender Ventilator. Denn es war „hen re“. Danach ging die Besichtigungstour los: größter Tu lou (Rundbau), ältester, schönster, und, auch das gibts: quadratischer. Womit bewiesen ist: die Quadratur des Kreises gelang vor 600 Jahren in China. Überall wähnte man sich in einer vergangenen Zeit. Mensch und Tier wohnten eng beieinander, gewaschen wurde mit dem hölzernen Waschbrett, im Innenhof wurde geschlachtet und gekocht, das Kind auf den Topf gesetzt und am Schrein der Ahnen gedacht. Simeng versuchte, uns möglichst flott durch die verschiedenen Bauten und Dörfer hindurchzulotsen, unser Fahrer fuhr wie ein Weltmeister, und immer mal wieder hörten wir: „Doctor, slowly slowly“.

Am späten Nachmittag rasten wir – so fern es die manchmal desolate Straße zuließ – zum Hotel nach Yongding. Es war gerade erst eröffnet worden, und wie wir zufällig bemerkten, noch nicht auf allen Etagen fertiggestellt. Unsere Zimmer waren allerdings sehr schön, das private Abendspeisezimmer mit eigenem Servierfräulein auch, allerdings war man hier wohl sehr selten mit Langnasenbesuch konfrontiert. Weder Schweineohren, noch ledernes Entenfleisch oder schwabbeliger Tofu konnten uns begeistern. Weder Englisch noch Mandarin-Chinesisch der Pekingerart halfen weiter bei der Nachfrage, was das denn alles sei, was wir da essen sollten. Das mühsam bestellte Bier wurde in kleinsten Weingläser ausgeschenkt, halbvoll. Und danach wurden wir draußen, wo direkt vorm Hotel ein kleines Volksfest stattfand, tatsächlich wie die Aliens angestarrt.

Am nächsten Morgen wurden draußen die Straßen gewaschen, Taiji geübt und wir bekamen drinnen ein typisch chinesisches Frühstück: grünen Tee und alle warmen Speisen, die man auch mittags und abends isst, plus Brei, außerdem etwas Kuchen und frisches Obst. Die letzten zwei Dinge waren unsere Rettung.

Und dann jagden wir auf holprigsten Staßen ins hinterletzte Hakkadorf. Aber es lohnte sich. Als erstes stiegen wir einen Berg per Treppe hinauf, um von einer Pagode aus aufs Dorf hinunter sehen zu können. Wir waren schweißgebadet. Dann durften wir über ein paar Steine hinweg ein Flüsschen überqueren, um ins Dorf zu gelangen. Der erste Tu Lou war nicht mehr bewohnt, dafür weit über 600 Jahre alt und wie ein Museum ausgestattet. Hier gab es auch eine lebende riesige, gelbgefleckte Würgeschlange zu betrachten, die man vor einigen Tagen im Wald gefangen hatte. Unter anderem zum Schutz vor solchen Tieren war man auf diese Bauweise verfallen. Der zweite, quadratische Tu Lou machte einen katastrophalen Eindruck: bewohnt von hauptsächlich alten Menschen und Kindern ( die jungen Erwachsenen arbeiten in den Städten oder in Übersee), dreckig und baufällig. Hier war mal wieder deutlich zu erkennen, welche chinesischen Eigenschaften den Bauwerken nicht gut tun: der Schmutz vor der eigenen Tür ist egal und bauerhaltende Maßnahmen kennt man nicht. Zu Mittag zauberte eine Dorffamilie eine köstliche Vielzahl chinesischer Speisen samt der berühmten Hühnersuppe für uns und wir aßen, genüßlich, in einer Art Garage neben einem recht neuen Motorrad.

Nun aber ging es schnell an die Küste, an unendlich vielen schwerstbeladenen Lastern vorbei, dafür so gut wie keine Privat-PKW, höchstens Mopeds mit drei Menschen Besatzung. Unser Hotel hatte einen Swimmingpool. So war trotz des schmutzigen Meerwassers schwimmen möglich und die Mahlzeiten waren auch für Langnasen wirklich lecker. Die kleine Insel, die wir am nächsten Morgen zusammen mit chinesischen Massen per Fähre besuchten, war das reinste Paradies im Kolonialstil. Um möglichst viele Menschen hinter uns zu lassen, drängelte sich Simeng am Anleger durch Hunderte schon Wartender bis vors Tor, wir immer brav hinterher, und keiner protestierte. Hier wird man bewundert, wenn man so drängeln kann. Uns war es eher peinlich. Und für Menschen mit Platzangst wäre die Situation zum Verzweifeln gewesen. Slowly, slowly, ging es flott über die Insel, hinauf zum Vogelpark, auf die Aussichtsklippen, ins Pianomuseum, durch die engen Gassen und natürlich pünktlich zum Mittagessen, damit wir nachmittags nicht hungrig im Flieger saßen.

Abends in Beijing war der Smog noch mal so schlimm wie je zuvor und der Taxifahrer fuhr uns durch den Stau des Airport-Expressways ganz slowly nach Hause. Doch, Beijing weckt in uns schon heimatliche Gefühle..

Heimatbesuch

Vor etwa 10 Tagen war ich auf einem kurzen Besuch in der deutschen Heimat.

Fuer alle, die sich beklagen, dass ich nicht bei Ihnen vorbeigekommen bin, sei der Reiseverlauf kurz geschildert: Mittwoch abends Ankunft in der Nähe von Leverkusen. Donnerstag und Freitag hatte ich dort einen Workshop (der dienstliche Grund der Reise). Am Freitag bin ich dann zu Friederike nach Dortmund gefahren – wir hatten uns seit Januar nicht mehr gesehen und haben das gemeinsame Wochenende sehr genossen. Am Montag dann nach Leverkusen – Kontakte pflegen. Schließlich komme ich irgendwann zurück und dafür ist es wichtig die dienstlichen Beziehungen nicht abreißen zu lassen. Am Dienstag bin ich dann bereits weiter nach Hongkong geflogen, wo mich Kunden und ein weiterer 2-Tages-Workshop erwartete. Fuer weitere Besuche blieb daher diesmal leider keine Zeit.

Kleine Bemerkung am Rande: All diese Städte, die mir noch vor kurzem sehr exotisch und weit weg erschienen: Beijing, Shanghai, Hongkong, Osaka, Singapur, Sydney, … werden nun doch schnell vertraut.

Heimatbesuch

Ich war sehr gespannt auf Deutschland und darauf, was mir nach einem Jahr in China auffallen würde.

Das erste, was mir am Frankfurter Flughafen ins Auge sprang, war, dass die Deutschen dick sind. Natürlich nicht alle, aber mir fiel doch auf, wie viele gut genährte und auch dicke Menschen in Deutschland zu sehen sind. Sicher gibt es auch dicke Chinesen, aber die überwiegende Mehrheit hier ist schlank bis dünn, nur wenige sind dick. Mein Eindruck war, dass dies in Deutschland genau anders herum ist. Diese Erkenntnis war dann auch fuer mich der Anlass zu beschließen, dass ich dringend noch ein paar Kilo abspecken muss.

Das zweite war eine Bemerkung meiner chinesischen Kollegen zum Kölner Dom: der sähe ja „scary“ (schrecklich, erschreckend) aus. Dieses große, dunkle Gebäude mit den vielen Spitzen, Ecke und Kanten wirkte auf sie deutlich einschüchternd. Kulturschock einmal anders herum. Aber dies öffnet auch die Augen, dass Dinge, die uns vertraut sind, auch anders wahrgenommen werden können.

Gute Luft: Mein Workshop fand mitten im Bergischen Land statt. Ich glaube, mir ist noch nie so aufgefallen, wie gut und klar die Luft dort ist. An den Beijinger Smog habe ich mich ganz gut gewöhnt, aber die saubere, frische Luft des Bergischen Landes hat mir sehr deutlich vor Augen geführt, welchen Schatz wir daran haben.

Servicewüste: Darüber haben wir in diesem Blog eigentlich schon viel zu oft geschrieben, aber der Unterschied ist einfach zu gravierend. Das extremste Beispiel waren zwei Verkäufer, die ich in ihrem sicher netten Schwatz stören musste, um wenigstens etwas Beratung zu bekommen.

Deutsches Frühstück: Uns fehlt es ja hier an wenig, aber ein deutsches Frühstück auf der Terrasse mit gutem deutschen Kaffee und frischen (Körner-) Brötchen war schon ein Genuss.

Bin ich schon ein Chinese? Den Eindruck habe ich bekommen, nachdem ich ein Foto gesehen habe, das während des Workshops aufgenommen wurde.  Unter all den großen Deutschen passte meine Körpergröße deutlich besser zu den mitgereisten Chinesen.

Heimatbesuch?

Ja es war ein Besuch in der alten Heimat und natuerlich hat mich an der einen oder anderen Stelle die Wehmut beschlichen. Und trotzdem bin ich am Ende in unserer Beijinger Wohnung nach Hause gekommen. Es ist unser Zuhause, in dem wir uns sehr wohl fühlen,  wenn auch nicht die Heimat.

Zum Shoppen nach Hongkong

Zum Sightseeing nach Hongkong wollte ich schon die ganze Zeit. Endlich hat’s geklappt. „Da musst du erstmal durch die Immigration…“ Wie? Immigration? Ich denke, das gehört seid fast 10 Jahren zu China. Und dann muss ich durch die Immigration? Und wie ich durch die Immigration musste. Über eine halbe Stunde durfte ich anstehen, bis ich endlich genau betrachtet wurde, ob ich wohl mit meinem nicht lächelnden Passbild übereinstimme. Seit ich diesen Pass habe, lächle ich auch nicht mehr – zumindest nicht bei der Passkontrolle. Und nach mehr als einer halben Stunde stehen sowieso nicht. Dabei waren wir wegen der Ausläufer des Taifuns, die uns auf fremde Routen zwangen, auch schon zu spät gelandet.

„Wenn du durch die Immigration durch bist, holst du dir erst mal Hongkongdollar.“ Wie? Dollar? Ich denke, das gehört … und außerdem war das doch zuvor britisch. Wieso dann Dollar? Na, immerhin, der Umtauschkurs ist derselbe wie chinesische Renminbi in Euro. Da muss ich mich nicht umstellen.

„Dann kaufst du dir eine Zugfahrkarte.“ Das ist tatsächlich einfach. der Zug wartet auch schon gegenüber, aber er ist total überfüllt, dabei fährt der angeblich kurztaktisch. Ich stehe bis Hongkong-Central.

„Nimm dir ein Taxi. Zeig dem Taxifahrer die chinesische Anfahrtkarte zum Hotel.“ Der Ehemann hat gut reden. Wie bei der Immigration stehen hier wieder vier elendlange Schlangen Wartender am Taxistand und natürlich wähle ich die langsamste – auf jeden Fall nicht die schnellste. Denn in der steht der Herr, der mit mir ein Stockwerk höher nach dem Taxistand gesucht hatte und jetzt deutlich früher abfährt als ich.

2 Stunden dauerte es von der Abfahrt daheim bis zum Abflug vom neuen Pekinger Airport – erste Sahne! – 4 Stunden Flug waren es von Peking nach Hongkong – knappe Mahlzeit mit kalten Nudeln. Über 2 Stunden brauchte ich von der Landung bis ins zugegeben wunderbare Hotel.

Insgesamt waren das 8 Stunden um von einer chinesischen Großstadt in die andere zu kommen. Von Deutschland aus hätte ich wer weiß ich wo sein können – in acht Stunden!

Ja, ich weiß, auch wenn es ein China ist, so handelt es sich bei Hongkong doch um einen ganz besonderen Status. Die Autos, die Doppelstockbusse und Doppelstockstraßenbahnen fahren links. Ständig sieht man vor sich auf der Straße, wenn man sie an offiziellen Überwegen überqueren will, Hinweise, dass man bitte in die richtige Richtung guckt, um den Verkehr zu erspähen. Sehr viele Menschen sprechen Englisch, dafür klingt das chinesisch etwas komisch. Es gibt nur Hochhäuser, alte, heruntergekommene und neue, glitzernde; beide erkennt man kaum, weil massenweise Schilder und Lichtreklamen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Massen an Menschen und Verkehr keine Ruhe zur Betrachtung der Umwelt lassen.

Der Ehemann ist schlau. Als er endlich seine Konferenz verlassen hat, macht er sich mit mir spornstreiks auf den Weg zum Hafen. „Heute morgen hats geregnet. Jetzt ist es schön. Lass uns jetzt das Panorama genießen gehen. Wer weiß, was morgen ist.“ Auf jeden Fall ist es sehr warm, sehr schwitzig, sehr voll von Menschen. Aber das Panorama im Hafen ist überwältigend! Wir fahren mit der Fähre rüber nach Kowloon und blicken auf die Skyline von Hongkong-Central. (siehe Fotoalbum!) Einfach toll. Zu den Bildern mach ich noch ein paar Filmaufnahmen, dann gehen wir essen – Seafood – immerhin sind wir am Meer. Italienisch – es muss nicht immer chinesisch sein. Später fallen wir total müde in die Betten – iiiihh! die sind ja nass! Gegen diese fast 100% ige Luftfeuchtigkeit kommt auch unsere auf Dauerlauf eingestellte Klimanalage nicht an. Alles ist feucht im Zimmer. Am schlimmsten sind wirklich die Betten dran. Aber auch alle Bücher wellen sich und später daheim, müffelt die gesamte mitgereiste Kleidung.

Am nächsten Tag weiß ich, warum das Herz-Blatt gestern gleich in den Hafen wollte. Nachdem wir uns zur Peak-tram haben bringen lassen, gucken wir in die Wolken. Der Peak, der Gipfel, ist nicht zu sehen und wir entscheiden uns zu einem Stadtbummel. Wir fahren mit der längsten Rolltreppe der Welt, wandern unter tropischen Bäumen, durchstreifen die chinesischen Marktstraßen Hongkongs und betrachten das Angebot an Haifischflossen, Schwalbennestern, sehr gesunden, merkwürdigst riechenden Kräutertees und landen auf dem Fischmarkt, wo sehr lebendige Fische neben merkwürdigsten Muscheln und sehr rotaufgeklappten Fischköpfen herumspringen. Die Wolken starten ihren Angriff. Es kommt einem wirklich so vor. Die Welt verdunkelt sich, der Wind wird zu Sturmgebraus und wir flüchten zu Hennes und Mauritz (H&M). Ach, was es in Hongkong alles an Geschäften gibt. Das Sogo, nicht weit von unserem Hotel, hat mindestens 12 Stockwerke und alle führenden Marken dieser Welt sind dort zu finden. Was in Deutschland Rang und Namen hat, von Leifheit bis zu Rosendahl, von Boss bis Schiesser, ist vorhanden. Von nun an regnet es, aus Kübeln, mit Blitz und Donner als Begleitung. Und auf einmal sind wir nur noch zum Shoppen in Hongkong. Und das ganz erfolgreich.

9. Juni – Momentaufnahme

Wir haben Feiertag! Draußen machen die Bauarbeiter Lärm wie üblich, Klaus war beim Bäcker und hat Croissants und Brötchen geholt, nachher wollen wir mal in den Perlenmarkt fahren und das dortige Händlerangebot betrachten, aber es ist Drachenbootfest und Charlotte und Klaus haben frei. Wie praktisch! Besonders für Charlotte, die sich ja gestern, bzw. heute das Spiel der Deutschen Nationalmannschaft ansehen wollte. Ob sie den Sieg bejubelt hat, weiß ich noch nicht. Sie schläft jedenfalls tief und fest. Es ist halt Europameisterschaft. Die fängt hier erst um Mitternacht an und die Deutschen spielten ab 2. 45 oder so in der Nacht. Aber die Chinesen sind ja Fußball begeistert und so gibt es die Spiele auch im (Starbucks ähnlichen) Cafe hier gegenüber auf Großleinwand.

Gerade klingelte das Telefon und es meldete sich die Assistentin meines Zahnarztes: „ich möchte Sie auf Ihren Termin aufmerksam machen: morgen früh, 11.15h.“ Das nenne ich Service! Nein, ich habe wirklich noch keinen Termin versäumt, komme immer überpünktlich, denn man weiß ja nie, wie die Verkehrssituation ist und ob man eine Viertel- oder eine Dreiviertelstunde bis zur Klinik braucht. Aber das Warten fällt ja auch nicht schwer. Ich kann Kaffee trinken und deutsche oder amerikanische Zeitschriften lesen und nette Menschen treffen… Eben Service! Der wird hier überall großgeschrieben: Im Lokal steht ein Kellner neben dir, sobald du eintrittst, sucht dir einen Platz, bringt dir die Karte und steht und berät und wartet, bis du ausgewählt hast. Bringt dir vielleicht sogar unaufgefordert schon mal ein Glas Wasser, weil es so warm ist ( heute sind 33° angesagt), guckt, während du isst, immer mal wieder nach, ob du einen neuen Teller für Abfall brauchst oder etwas leer gegessen ist und gießt gern nochmals unaufgefordert Wasser nach. Wenn du dann bezahlst, erwartet er kein Trinkgeld und verabschiedet dich aufs freundlichste. Eventuell sagt er sogar „tschüß“, weil er gemerkt hat, dass du aus der Servicewüste Deutschland stammst.

Überhaupt Deutschland – zur Zeit sorgen unsere deutschen Landsleute hier doch manchmal für große Erheiterung. „Ich bin auf Inspektionsreise“ stellte sich gestern ein älterer Herr im deutschen Gottesdienst vor. Er sei ehemaliger Pfarrer und jetzt Reiseleiter für Gemeindegruppen und suchte nach „Begegnungsmöglichkeiten“ für deutsche gemeindliche Reisegruppen. Am besten einen deutschen Pfarrer, der die Pekingführungen übernimmt und vielleicht noch einige nette Privatquartiere. Wohlgemerkt: er kannte hier niemanden! Die Gemeindevorsitzende konnte Ähnliches berichten: sie bekommt Anfragen wie: „Ich bin ein pensionierter christlich orientierter Lehrer aus … in Hessen und habe bereits Flug und Olympiatickets. Haben Sie in ihrer Gemeinde noch Privatquartiere frei. Damals in Melbourne konnte ich es mir sogar aus einer Auswahl aussuchen.“ Manchmal kann man den hiesigen Behörden richtig dankbar sein. Zur Zeit ist es uns nicht erlaubt, andere Menschen als Verwandte ersten Grades – mit Geburtsurkunde bezeugt – bei uns daheim aufzunehmen. Aber – wie gesagt, das hier ist eine Momentaufnahme – ich hoffe doch sehr, dass Freunde und Bekannte aus Deutschland demnächst bei uns zu Besuch sein dürfen, wenn sie wollen.

Akupunktur

Wenn man in china wohnt muss man natuerlich auch etwas chinesisches lernen. Meine Eltern haben sich fuer die Sprache entschieden + Schriftzeichen und ich mich fuer die Chinesische Medizin. Die Akupunktur. Seit gut einem Monat gehe ich jeden tag zur schule und versuche 170 Punkte zu lernen. Wie man sich denken kann, ist das gar nicht so einfach. Seit 2 Wochen sind wir auch morgens im Krankenhaus und muessen nadeln setzen und wieder rausziehen. Aber wie setzt man den nur nadeln? Man muss wissen wie tief oder ob man sie schraeg oder gerade reindrueckt. Sich auch noch zu merken wofuer dieser Punkt jetzt gut ist, ist wirklich nicht mehr einfach. Und dann lernt man das ganze ja auch noch in Englisch.Ich habe jetzt aber einen deutschen Uebersetzer mir angeschafft, damit ich es zu mindest besser verstehe.  Trotz der ganzen Schwierigkeiten macht es trotzdem Spass. Wer will kann dann mal ne nadel kriegen. Also dann. Bis zum nadeln.

Zur Zeit nur mit Schirm aus dem Haus

Über mir braust es. Ich hab die Klimaanlage eingeschaltet, weil es einfach nicht mehr anders auszuhalten ist. Draußen ist es über dreißig Grad warm, sehr schwül und hier drinnen war es zumindest nicht viel kühler. Ich halte das auch für gesünder als diese völlig runtergekühlten Bürogebäude, in denen es jetzt kälter ist als es im Winter in ihnen war. Wirklich eine verkehrte Welt! Womit wir das bezahlen, hab ich heute mittag auch gemerkt, als ich nach dem Chinesisch-Unterricht das Haus verließ: es stank, als hätte die Formel eins sich direkt von Monaco nach CentralPark Beijing aufgemacht. Abgasgeruch pur! In den letzten Tagen hatten wir mehrfach dicken Smog, sodass wir gerade zwei Hochhäuser weiter gucken konnten. Dann gab es meistens heftigen Wind mit viel Staub und Sand, damit sich das Putzen lohnt – zurzeit fast täglich mehr als notwendig – und danach folgte ein Tag, an dem zahlreiche Chinesinnen ihren Schirm aufspannten.

Nein – es regnete nicht. Schirme braucht man, bzw. frau, hier als Schutz gegen die Sonne, denn nichts ist schlimmer als braun werden. Die Whitening Cremes sagen ja alles. Immer schön bleichen, möglichst helle Haut zur Schau stellen, damit zeigt jede an, dass sie es nicht nötig hat, draußen zu arbeiten. Und ich? Also, den Schirm vermeide ich ja sogar bei Regen, ein Sommerhut oder ähnliches ist bei meinem Kopfumfang schwer zu kriegen, also setze ich meine Hoffnung auf Schatten und Sonnencreme mit höchsten Lichtschutzfaktoren.

Nur eine bestimmte Stelle hatte ich neulich übersehen. Es war ein wunderbarer Sommertag, klare Luft, blauer Himmel und ich war zu Kaffee und Kuchen in einem traditionellen Courtyard Haus im Hutong jenseits der verbotenen Stadt eingeladen. Also setzte ich mich aufs Rad, gut behelmt und fuhr so rechtzeitig los, dass ich noch eine schöne Mittagspause am Houhai-See einlegen konnte. Aber mein rechtes Pedal fühlte sich sehr eierig an – ich hatte keine Ahnung, was los war, bis mein Fuss auf einmal in der Luft hing – das Pedal war abgefallen. Gott sei Dank – es geschah kurz vor einer belebten Kreuzung, rechts führte die Straße zum Bell-Tower und ich wusste, da gibt es Fahrradreparateure. Schnell hatte ich einen ausgemacht. Er besah sich Pedal und Rad und erklärte mir, was ich auch schon bemerkt hatte, dass nämlich alles völlig desolat sei und eine neue Halterung fürs Pedal her müsste. Aber auch das Fahrradgeschäft war in der Nähe und so besorgte er alles: zwei neue Pedale und die Halterung, die auf der Seite natürlich noch mit dem dreifachen Kettenkranz direkt verbunden ist. Nun habe ich all das neu am Rad in chinesischer Qualität – von wegen Shimano – und die Gangschaltung funktioniert noch nicht einwandfrei. Aber immerhin, ich konnte die Tour fortsetzen nach einer halben Stunde Arbeit und einer Bezahlung von umgerechnet 13 Euro. Pünktlich kam ich zum Apfelkuchen, es war ein schöner Nachmittag und abends fuhr ich eine halbe Stunde flott durch den Berufsverkehr ohne Probleme zurück. Nur mein Göttergatte fand heraus, dass ich wohl nicht ständig behelmt gefahren war. Bei der Reparatur hatte ich den Helm in der Fahrradtasche verstaut und anschließend dort belassen. Ich hatte mir einen Sonnenbrand geholt. Nicht auf der Nase, auch nicht an Händen oder Füßen, nein, auf dem Kopf, da wo die Frisur einen Scheitel besitzt.

Ich denke, ich halt mal Ausschau nach einer Schirmmütze.

Erdbeben

Wir erleben hier viel Neues. Aber das hätte uns allen erspart bleiben können! Am Montag, ca Viertel vor Drei nachmittags, saßen Charlotte und ich friedlich am Esstisch, als ich das Gefühl bekam, meine Beine würden ganz wackelig. Charlotte fragte gleichzeitig ziemlich irritiert, warum die Lampe über uns denn so hin und her wackelt. Uns beiden wurde klar: das ist ein Erdbeben. Die Beine wurden noch weicher, die Lampen schwangen eifrig hin und her und wir suchten die Nähe unserer Wände, wie wir es einmal geraten bekommen hatten. Immerhin ist China ein stark Erdbeben-gefährdetes Gebiet. Zwei sehr lange Minuten dauerte es, bis die Schwingungen offensichtlich geringer wurden. Wir zogen uns Schuhe an, nahmen Papiere und Schlüssel mit – beim nächsten Mal (hoffentlich nie wieder) denken wir auch an Essen und Trinken! – und machten uns auf den langen Weg durchs Treppenhaus nach unten. Wir waren nicht allein unterwegs. Von überall hörten wir Stimmen der Menschen, die mit uns diesen swingenden Block verlassen wollten. Unten angekommen, teilten wir der Security unsere Erfahrung mit – sie hatten nichts gemerkt. Doch im Cafe gegenüber – einem einstöckigen Gebäude, konnten wir uns erholen und wieder zur Ruhe kommen.

Doch die war schnell wieder vorbei, als wir erfuhren, wie schlimm das Erdbeben im Epizentrum tatsächlich war. Als Klaus vor einigen Wochen in Chengdu war, flog er zweieinhalb Stunden von Peking dorthin. Es ist also wirklich weit weg. Und doch haben wir noch so massiv miterlebt, was dort Fürchterliches geschehen ist. Täglich wird deutlicher, wie viele Menschen umgekommen sind oder noch verschüttet sind. Wir haben die Straßenverhältnisse von Bergdorf zu Bergdorf in Yunnan im Sinn, wenn wir von den Problemen hören, die die Helfer zur Zeit haben, um überall hin zu kommen. Was muss alles transportiert werden, was brauchen Menschen jetzt alles in ihrer Not, ganz abgesehen von dem Trost, den man braucht, wenn man solche Erfahrungen macht. Ich weiß, welche Panik wir schon hatten, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es mir dort gegangen wäre. Zur Zeit überlegen wir, wie wir helfen können.

Der Lärm asiatischer Städte…

… sei enorm, hörte ich neulich im Radio. Das ist bestimmt so, auch wenn man’s manchmal gar nicht mehr merkt. „Könnt ihr mal eure Stimmen wieder runterfahren?“ rief Charlotte uns zu, während wir versuchten, die Straße zu überqueren. Heftig diskutierend waren wir an einer Abrissbaustelle vorbeigelaufen, auf der mehrere Abrissbagger gleichzeitig auf eine große Bauruine einhämmerten. Die Wände der Hochhäuser drumherum hatten den Schall zudem noch gut zurückgeworfen. Und nun wurde auf der völlig überfüllten Straße wieder gehupt, um irgendwie an dieser Kreuzung, wo nichts mehr ging, durchzukommen. Wie gut, dass wir ins Botschaftsviertel abbogen, die Straßen wurden schmaler, der Verkehr ruhiger. Auf einmal hör ich eine Stimme hinter mir. Laut, sehr laut, brüllt da einer. Nein, keiner der chinesischen Wachsoldaten, die aufpassen, dass keine armen Nordkoreaner irgendeine westliche Botschaft stürmen, gibt Befehle aus. Ein Chinese telefoniert offensichtlich mit Zuhause oder seinem besten Freund. Wer so laut schreit, hat nur die Allerliebsten am Apparat, oder aber: es ist ein Ferngespräch. Da muss man doch schreien – wenn es so weit schallen muss! Ich verstehe ja kaum was, aber alle anderen Chinesen bekommen bestimmt genau mit, was ihm auf dem Herzen liegt.

Wieder zu Hause angekommen, höre ich „White Christmas“ von unten heraufklingen, gleich gefolgt von „Jingle bells“. Ich dachte, es ist Ende April, nicht Dezember. Also guck ich mal raus. Aha, da versammeln sich mal wieder alle Arbeiter der Baustellen von gegenüber. Die wissen bei diesen Tönen offensichtlich ganz genau, dass sie zum Appell anzutreten haben. An die hundert Männer der Tagschicht mit ihren gelben Helmen stehen bestimmt da. Die Baustellenmannschaften arbeiten rund um die Uhr, sieben Tage lang. In der Nacht zeichnen sie sich durch besondere Lautstärke aus, denn dann – und nur dann – dürfen die großen LKWs in die Innenstadt. Und das heißt: in der Nacht wird abgeladen und aufgeladen, was das Zeug hält. Neulich nachts haben sie Bauzäune aus Blech verladen, stundenlang, ich hab’s genau mitbekommen. Und heute Nacht meinte unter anderem einer, er müsste seine ganz besonders laute und mehrtönige Hupe vorführen, auch das war nicht zu überhören.

Vor einigen Tagen drangen auf einmal ganz neue Töne zu uns rauf. Klaus und ich guckten gen Himmel raus, denn es klang, als wollte ein Hubschrauber landen oder auch zwei oder drei…. Doch in der Luft war nichts zu sehen. Stattdessen liefen enorm viele orangebejackte Männer auf den Rasenflächen des Parks vor unseren Häusern herum – es war schon dunkel, aber wir hatten die Erklärung: die mähen den Rasen. Ein bisschen spät – bei schlechter Sicht – sehr laut. Nun ja, um halb zehn stellten sie die Arbeit ein. Am nächsten Morgen fiel ich fast aus dem Bett. Die Helikopter waren wieder da – 5.30 Uhr! Etwas später wurde auch ich laut – im Büro des Managements.

Nachmittags um 2 hörte ich dann auf einmal Krach auf dem Flur. Viele Stimmen durcheinander. Dann erscholl auch unsere Klingel: Einmal drücken – viermal Sturmgeklingel. Ich lugte vorsichtig raus. Uniformen waren zu sehen. Ach ja, die Polizei. Die war vor einer Woche schon mal da, abends um 9. Sie kontrolliert, ob wir unsere Wohnregistraturscheine noch haben, die sie selbst ausgestellt haben. Wir haben sie. Jetzt hab ich den Ordner auch direkt im Griff und stell ihn nicht weit weg, wer weiß, wann sie wieder kommen – aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei. Der Nachbar hatte sich offensichtlich über den doppelten Besuch etwas lautstärker aufgeregt. Ich bleibe ruhig.

Abends um sieben ist irgendwo hier in der Nähe immer Appell. Gesehen habe ich diese Massen noch nie, aber laute Parolen können sie gemeinsam skandieren, als probten sie für die Großdemonstration, vielleicht sind sie ja am 1. Mai damit bei der großen Parade aufgetreten. Wir haben nichts gesehen davon, denn wir waren endlich auf der Großen Mauer. Da war es ruhiger, nur die T-Shirtverkäufer priesen lautstark ihre Ware mit dem Aufdruck: „I climbed the Great Wall“ an. Two shirts one dollar – standen sie mitten vor einem, sodass man nicht weiter kam. Und als wir uns tatsächlich interessiert zeigten, holten sie schnell die „better quality“ heraus und wollten 60 Yuan für ein T-Shirt. Als wir uns dankend den Weg freimachten, wurden sie noch lauter, ach ja, ich fühlte mich schon wieder wie in Peking im Silkmarket. Am Abend, zurück vom kombinierten Himmeltags- und 1.Mai Ausflug, setzten wir uns für die letzte Wegstrecke in ein Taxi. Der Fahrer hörte Radio. Lustige Geschichten waren dran, in voller Lautstärke, draußen hupte es von allen Seiten und der Feiertagsabendverkehr war auf seinem Höhepunkt. Wir waren wieder „daheim“ – alles ganz normal.

Meine Bodyguards

Auch in Peking will man als 19-jährige natürlich manchmal in eine Disco gehen. So bin ich am Montag, dem 11.4.2008 mit meinen Freunden aus dem Blenz-Cafe um 22.00 Uhr zum Banana Club gegangen.
Als wir dort ankamen, merkte ich schon, dass es vermutlich eine lange Nacht werden wird, da diese Disco riesengroß und einfach klasse ist. Dazu war es noch rappelvoll und wir wussten erstmal gar nicht, wo wir noch hin konnten. Doch dann sind wir mitten auf die Tanzfläche gekommen.
Nach 75 Minuten tanzen mit fünf Jungs, die jeden Annäherungsversuch eeines anderen abwehrten, brauchte ich mal ne Pause und bin zur Toilette gegangen. Doch nicht alleine, nein, alle fünf Jungs kamen mit bis vor die Tür und passten auf, dass mich keiner belästigte. Das ging dann auch den ganzen Abend so weiter. Ich konnte keinen unbewachten Schritt tun.
Um 1.30Uhr bin ich nach Hause gegangen. Aber das natürlich auch wieder nicht ohne Begleitung. – Unterricht und Arbeit am Dienstagmorgen kamen ja auch schon näher. –
Da drei Leute in der Nähe dieser Disco wohnen, haben wir die zuerst zu Hause abgeliefert. Die anderen zwei haben sich anschließend noch ihre Fahrräder geholt und wir sind gemeinsam erstmal bis zur Haupteinfahrt vom Centralpark gefahren. Weil ich nicht auf dem Gepäckträger sitzen wollte, besetzten die Jungen ein Rad und ich versuchte, mit dem zweiten voranzukommen. Niedriger Sattel und allein eine Vorderradbremse, die nur auf starken Druck reagierte, machten die Fahrt ausgesprochen schwierig. Obwohl ich nicht bis zum Towereingang begleitet wurde, bin ich unter dem Schutz der Security doch noch gut nach Hause gekommen.

qi zixingche – Fahrrad fahren

Ein langes Frühlingswochenende lag vor uns – die Chinesen zelebrierten ihren Totengedenktag passenderweise am Freitag, dem 4.4. ( die 4 ist die Unglückszahl, weil mit ihrer Silbe alle Worte im Zusammenhang mit dem Wort Tod beginnen.) Endlich war die richtige Zeit gekommen, unsere Fahrräder hervorzuholen. Im November, als sie mit allem anderen Seefrachtgut im Wohnzimmer auftauchten, hatten wir sie in den allgemeinen Fahrradkeller gebracht, gut abgeschlossen und uns ihren Standort gemerkt, denn der Keller war überfüllt mit Rädern aller Art. Nun, das wussten wir, würden wir drei verstaubte Räder aus einem unübersichtlichen Gewühl befreien müssen. Doch da, wo sie stehen sollten, waren sie nicht mehr. Nach langer Suche, im gebeugten Zustand – wegen der 160 cm hohen Decke – und trotzdem immer noch in der Gefahr, gegen irgendwelche noch tiefer hängenden Rohre zu stoßen, fanden wir zunächst Charlottes Rad. Verstaubt, aber wohlbehalten. Und bald danach entdeckten wir auch die anderen beiden, sogar nebeneinander stehend. Der freundliche Fahrradkellerwächter und die Dame, die ihm Gesellschaft leistete ( wie das einsilbige chinesische Wort bleibt auch der alleinarbeitende Chinese selten ohne Begleitung), halfen uns tatkräftig, tatsächlich auch unserer Räder habhaft zu werden.

Wir schoben die Räder in den hauseigenen Garten, holten Werkzeug, Luftpumpe und einen Putzeimer und machten Fahrradfrühjahrsputz – zum Erstaunen des chinesischen Personals. Denn, auch wenn die Chinesen ein Volk der Radfahrer sind/waren?, ihre Räder sehen erbärmlich aus. Sie sind nicht nur von schlechter Qualität, vor allem sind sie dreckig und zerbeult. Man fährt breitbeinig, weil der Sattel nicht verstellbar ist, ausgesprochen langsam, weil die Bremsen nicht funktionieren oder auch gar nicht vorhanden sind. Von Lampen, Katzenaugen, Klingeln etc. scheint man hier noch nie etwas gehört zu haben.

Endlich konnte es losgehen. Mit großem Mut schwangen wir uns auf die Räder. Ja, doch, es gibt Fahrradwege – zum Autos drauf parken, zu Fuss lustzuwandeln, zum gegen die Richtung fahren, als Bushalteplatz für gleich mehrere Busse, als Taxiwartestreifen…., und immer muss man sich vorbeimogeln und dabei gut aufpassen, dass nicht gerade in diesem Moment ein Fahrer meint, links rausfahren zu müssen. Denn auf Fahrradfahrer achtet ein stolzer Besitzer eines Motorfahrzeuges nicht.

Die ersten Ampeln konnten wir achtlos überfahren – die Signalfarben sind für Radfahrer uninteressant. Aber dann kamen wir an eine der ganz großen Straßenkreuzungen Pekings. Wir wühlten uns durch die Fußgänger hindurch, suchten nach der Fortsetzung des Radweges unter der Hochstraße (die Hauptstraße verläuft hier auf zwei Ebenen) und spähten sowohl „Grün“ wie auch rasende Rechtsabbieger aus. Die meisten chinesischen Radler waren längst unterwegs, als wir uns trauten, weiter zu fahren, und ein rechtsabbiegendes Taxi zwang mich dann doch noch vom Rad. Aber schon nach wenigen Metern hatte ich alle wieder ein- oder überholt, denn sie schleichen, die Chinesen. Besonders, als es nun zur Kanalbrücke auch noch etwas bergan ging – Peking ist sehr flach. Hinterm Kanal sollte es linksab gehen, zu unserem Ziel, einem großen Markt. Aber – nichts ging mehr. Klaus‘ Hinterrad war platt. Er hatte sich einen Nagel eingefangen.

So schoben wir die Räder zurück über die Brücke bis zu einem Sonnenschirm, unter dem einer der unzähligen Fahrradreparateure dieser Stadt seine Hilfe anbot. Er fand nicht nur das Nagelloch, sondern auch einige poröse Stellen im alten Fahrradschlauch, sodass er uns einen neuen Schlauch verkaufte und montierte. Mit den 50 RMB (5,- €) für seine Dienste war er sehr zufrieden und wir auch. Die Tour konnte weitergehen – ungebremst, denn die Bremse hatte er nicht wieder festmontiert. Nachdem auch das unterwegs noch selbst erledigt wurde, kam der Markt bald in Sicht. Und dort gab es sogar einen beaufsichtigten Fahrradparkplatz – Gebühr: 6 Cent! Nach einem ausgiebigen Marktbesuch – unbeschreiblich! sehr asiatisch- leisteten wir uns noch zwei große Eis ( 55 cent) und machten uns auf den Rückweg, der doch schon schneller und weniger rücksichtsvoll und manchmal auch auf der Gegenfahrbahn verlief.

Charlotte überlegt noch, ob sie wieder aufs Rad steigen will. Ich werde auf jeden Fall weiterhin fahren, aber bevorzugt allein, denn die anderen abbiegen und dabei Taxigeschosse auf sie zuflitzen sehen, ist das anstrengendste beim Fahrrad fahren in Peking.