Lukas 9, 10-17
Heute kann ich es mir leicht machen. Am Sonntag habe ich über den Paralleltext bei Markus gepredigt:
Öffne mir die Augen, so sehe ich die Wunder. Ps 119, 18:
Es war wie ein Wunder an jenem Abend vor mehr als 25 Jahren. Ich brachte ein Bild nach dem Aquarellkurs nach Hause. „Lass doch mal sehen, was du gemalt hast! Das ist ja ein toller Vogel!“, sagte mein Mann. Ich schaute noch mal ganz irritiert auf mein Aquarell. Doch es war mein Blumenbild in komplimentärem blau/gelb. Wo sah er einen Vogel? Erst als er ihn mir zeigte, sah ich das Bild mit seinen Augen an und entdeckte den Vogel.
schaut hin – ist das Leitwort des kommenden 3. Ökumenischen Kirchentages in Frankfurt am Main.
Schaut hin, seht! heißt es oft in der Bibel.
So auch in dem Text aus Mk 6,30-44. Bei der Speisung der 5000 wird hingesehen und das gleich mehrfach.
Zu Beginn sind da die Menschen, die Jesus sehen, seine Nähe suchen. Sie sehen genau hin.
Das Boot mit Jesus und seinen Schülern hat bereits vom Ufer abgelegt, steuert offensichtlich einen anderen Ort an. Wohin wollen sie? Die Menschen entdecken Jesu Ziel und laufen schon einmal los, denn sie wollen ihm nahe sein, ihn vor sich sehen, mit eigenen Augen schauen, was er besonderes tun kann. Ja, wie auch heute, wollen die Menschen die Sensation sehen. Allerdings suchen sie bei Jesus die Sensation der Heilung, der Hilfe, des Wunders im Namen Gottes.
Das ist ja das besondere an Jesus: er predigt nicht nur, er handelt auch. So ist nicht nur das Hören sondern auch ganz besonders das Sehen der Menschen gefragt. Taube hören, Blinde sehen, das ist die Antwort Jesu an Johannes den Täufer auf dessen Frage, ob er der sei, auf den alle warten. Er predigt von Gottes befreiender Gnade und befreit die Menschen von sichtbarer Krankheit und Not. Wer sich von Worten allein nicht überzeugen lässt, kann sehen, welche Macht am Werke ist.
Jesus suchte einen einsamen Ort zum Essen, seinen gerade zurückgekehrten Schülern gönnte er Ruhe von der langen Wanderschaft. Trotzdem schickt er die Menschenmenge nicht fort, die ihn bereits am anderen Seeufer erwartet. Markus schreibt: „Er sah die große Volksmenge und bekam Mitleid mit den Menschen.“
Hinschauen, erkennen und handeln gehören für Jesus zusammen.
Er sieht sie und sieht zugleich ihre Not, ihre Bedürftigkeit.
Die Menschen suchen Halt, suchen Leitung, suchen Geborgenheit.
Jesus erkennt: „Sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“
So spricht er zu ihnen, weil sie von ihm hören wollen, wie Gott ist, was Gott ihnen tut, was Gott von ihnen will. Und er spricht lange zu ihnen, viele Stunden. Ob sie ihn befragten und er immer weiter willig antwortete? Er nimmt sich Zeit für sie. Stellt die eigenen Bedürfnisse zurück. Ist ganz für sie da. Und sie hören gebannt zu, schauen auf den, der ihnen Gottes Wort so anschaulich und unermüdlich und freundlich nahebringt. Müdigkeit, Hunger, kein Gedanke dran.
Nur den Schülern Jesu wird alles zuviel. So allmählich sollten diese Menschen gehen und sie in Ruhe lassen. Die müssen doch mal wieder nach Hause, essen und schlafen. Als Jesus kein Einsehen zeigt, provozieren sie ihn: sollen wir etwa für viel Geld für alle diese Leute auch noch einkaufen gehen? Sie wissen, das Geld ist nicht vorhanden. Jesus aber bleibt ganz ruhig. „Wieviel Brot habt ihr dabei?“ Geht und seht nach!
Er kann die Menschen doch nicht fortschicken, nachdem er ihnen gepredigt hat, dass sie alle zu Gott kommen können mit ihren Bedürfnissen und Bitten. Wie sieht das aus, wenn er sie nur wegen des Abends und des Hungers fortschickt?
Seine Schüler sehen nach.
Und entdecken: es ist sogar noch mehr da, als nur fünf Brote. Sie finden auch noch 2 Fische. Es ist nicht übermäßig viel angesichts der großen Menschenmenge. Doch sie sind bereit, alles zu teilen, was sie haben. Allerdings sehen sie auch: Satt machen können sie damit die 5000 auf keinen Fall. Da ist mehr nötig als das wenige, das sie geben können. Auf Jesu Geheiß setzen sich die Menschen in Gruppen zusammen ins „grüne Gras“ und jetzt komm ich um die Assoziation nicht mehr herum, der Hirte führt seine Schafe auf die grüne Aue – es ist wie im 23. Psalm. Und sie sitzen in Gruppen wie am gedeckten Tisch.
Jesus schaut wieder hin, seine Blickrichtung ist nun aber eine andere: er schaut zum Himmel und spricht das Dankgebet. Er schaut zu Gott auf und erwartet alles von ihm. Voller Vertrauen in Gottes guten Willen und seine Barmherzigkeit. Es fehlt nur noch, dass er sagt: „Schmecket und sehet, wie freundlich Gott ist“. Nicht er, Jesus und seine Schüler, nein, Gott ist es, der alle satt machen wird. Und so teilt Jesus Brote und Fische und nimmt alle mit bei diesem Perspektivwechsel: von der irdischen Not zur himmlischen Fülle, vom Mangel zum „Mit Gott ist alles möglich!“
Ob es ein Wunder war oder ein solidarisches Handeln, die Bibel sagt es uns nicht. Auf jeden Fall ist es eine Ermutigung.
Eine Ermutigung zum Hinschauen! Das Bild dieser Welt ist ein anderes, wenn du es mit den Augen Jesu siehst, denn dann schaust du voller Mitleid.
- Schau auf Jesus, auf sein Tun, seinen Standort, sein Ziel und folge ihm. Die meisten von uns, so denke ich, versuchen das. Doch wir fragen uns schon: Wo sind heute diese Menschen, die Jesus nachlaufen? Warum sind da nicht viel mehr, die nach ihm schauen und von ihm alles erwarten? Ist die Not zu gering, die Hoffnung nicht da, vertraut man nur auf sich selbst und die Ärzt*innen, Fachleute usw. Fehlt der Glaube an Gott und auch der Wunsch zu glauben, Gott zu vertrauen? Es geht darum, dass wir den Blick auf Jesus ermöglichen, den Wunsch darauf wecken, Jesus zu ent-decken und auf ihn zu schauen. Dazu sind ja z. B. auch Kirchentage da.
- Schau mit Jesus auf die Menschen und erkenne, wie es ihnen geht und welche Bedürfnisse sie haben. Heutige hilfesuchende Schafe, wie Jesus sie nannte, gibt es überall in dieser Welt: die Menschen, die durch die Corona-Pandemie völlig verunsichert sind, die um Gesundheit aber auch wirtschaftliche Existenz bangen, die jetzt besonders vereinsamt sind und die, die alleine trauern. Menschen, denen die Zuversicht fehlt, die niemandem mehr vertrauen, keinen Mut zum Leben haben, denen alles so sinnlos erscheint. Sie alle sind uns ganz nahe. Doch darüber können wir die Flüchtenden und die Kriegsopfer nicht vergessen. Die Bilder von den verhungernden Kindern im Jemen gehen mir nicht aus dem Kopf.
- Schau bei dir selbst nach, was du an Möglichkeiten hast, die Not zu lindern. Welche Möglichkeiten der Hilfe haben wir, abgesehen vom Geld? Nur noch kurz die Welt retten, ist nicht so einfach. Und es geht eben nicht nur um die Kollekten und Spenden, so notwendig diese auch sind, es geht auch um das, was ich selbst tun kann, hier vor Ort, indem ich z.B. die abgelegte Kinderkleidung dem Spatzennest oder dem Friedensdorf spende. Da haben wir gerade eine Überraschung erlebt, indem wir mehr als nötig gebracht bekamen. Auch wir konnten weitere Körbe füllen. Die helfenden Hände, der Gabenzaun, so vieles ist zu entdecken, wenn wir genau hinschauen, oft mehr, als wir zunächst glaubten.
- Schau auf Gott, dank ihm und erwarte alles von ihm. Er schenkt dir Augen zum Hinsehen, gibt dir Liebe und Barmherzigkeit ins Herz, hat dich begabt mit Fähigkeiten, die du in den Dienst anderer stellen kannst und lässt dich nicht allein stehen, eine große Gemeinschaft ist mit dir unterwegs.
Gott, öffne mir die Augen, so sehe ich die Wunder. Amen