Sonntag, 3.1.2021, sollte ich eigentlich um 10.45 Uhr Gottesdienst halten. Um 12.00 Uhr wollte ich einen Jungen taufen und um 19.00 mit meinen Konfirmand*innen und ihren Familien einen Gottesdienst feiern – daraus wurde nichts, weil das Presbyterium wegen des Corona-Lockdowns beschlossen hat, alle Gottesdienste bis zum 10.1.2021 einschließlich nicht zu feiern. Eine Predigt habe ich trotzdem geschrieben:
Predigt zum 3. Januar 2021 von Henny Dirks-Blatt
besonders für den Gottesdienst mit Konfirmand*innen und ihren Eltern
Lukas-Evangelium, Kapitel 2, 41-52 (Basisbibel)
Jedes Jahr zogen die Eltern von Jesus zum Passafest nach Jerusalem. Als Jesus zwölf Jahre alt wurde, gingen sie mit ihm über die Feiertage dorthin – so wie es üblich war. Als das Fest vorüber war, machten sie sich wieder auf den Heimweg. Ihr Sohn Jesus blieb in Jerusalem zurück, aber die Eltern merkten es nicht. Sie dachten: »Er ist bei den anderen Reisenden«, und zogen eine Tagesreise weit. Am Abend suchten sie ihn bei den Verwandten und Bekannten. Doch sie konnten ihn nicht finden. Da kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten ihn überall. Dann endlich, am dritten Tag entdeckten sie ihn im Tempel. Er saß mitten unter den Lehrern. Er hörte ihnen zu und stellte ihnen Fragen. Alle, die ihn hörten, staunten über seine klugen Antworten. Seine Eltern waren fassungslos, als sie ihn hier fanden. Seine Mutter fragte ihn: »Kind, warum hast du uns das angetan? Sieh doch: Dein Vater und ich haben dich verzweifelt gesucht!« Er antwortete ihnen:
»Wieso habt ihr mich gesucht? Habt ihr denn nicht gewusst, dass ich bei meinem Vater sein muss?« Aber sie begriffen nicht, was er da zu ihnen sagte. Dann kehrte Jesus mit seinen Eltern nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam. Maria prägte sich diese Worte gut ein. Jesus wuchs heran. Er wurde älter und immer klüger. Und Gott und die Menschen hatten ihre Freude an ihm.
Suchen und Finden – das ist keine selbstverständliche Abfolge, auch wenn wir uns das wünschen.
Kennt Ihr die Verzweiflung von Eltern, die ihr Kind suchen? Unsere noch sehr unverständlich sprechende dreijährige Tochter verschwand im Möbelhaus der unbekannten Großstadt. Nach langer vergeblicher Suche erlöste uns eine Durchsage: „die kleine … ist in der Schrankabteilung gefunden worden.“ In Deutschland verschwinden jedes Jahr 100.000 Kinder. Die Hälfte wird innerhalb von Stunden wiedergefunden, die anderen 50.000 werden bei der Polizei als vermisst gemeldet. 2% bleiben über einen längeren Zeitraum verschwunden. Die Angst und Ohnmacht der Eltern ist zum Verzweifeln. Von Stunde zu Stunde wird es furchtbarer. Wo könnte das Kind nur sein? Ist es eingeschlafen, auf Entdeckungstour, spielt es irgendwo oder sucht es ebenfalls verzweifelt nach den Eltern? Ist ihm etwas passiert?
Drei Tage suchten Maria und Josef nach Jesus. Immerhin war er schon zwölf Jahre alt, ein verständiger Junge. Die Reise nach Jerusalem hatte Jesus schon öfters mitgemacht. Bald würde er seine Bar Mizwa feiern, danach war er religionsmündig und gehörte zum Kreis der Erwachsenen. Doch noch war er ein Kind, der Obhut seiner Eltern anvertraut. Ihre Verzweiflung wuchs. Im Nachtlager war ihr Sohn nicht zu finden, Jerusalem war groß. Wo konnte er nur stecken? Was verlockte ihn dazubleiben? Der Tempel war offensichtlich keine naheliegende Antwort für seine Eltern. Doch genau dort fanden sie ihn. Sie erlebten Jesus in einer für sie ganz neuen Situation: er diskutierte mit den Lehrern im Tempel, stellte Fragen, gab Antworten. Ganz neue Möglichkeiten für einen 12-jährigen vom Lande. Da konnte man schon die Zeit und die eigentlichen Aufgaben vergessen. Hier hatte Jesus gefunden, was er suchte.
„Kind, warum hast du uns das angetan?“ fragte Maria. Doch er wollte ihnen gar nichts antun. Er war sich keiner Schuld bewusst. „Habt ihr denn nicht gewusst, dass ich bei meinem Vater sein muss?“
Was wissen Eltern von ihren Kindern? Wenn sie älter werden, besondere Interessen entwickeln, ihre eigenen Gefühle, Ängste, Hoffnungen, Sehnsüchte nicht mehr den Eltern preisgeben. Die Pubertät der Kinder macht es Eltern und Kindern schwer, miteinander klar zu kommen. Ich stelle immer wieder fest: Wenn Konfirmand*innen angemeldet werden zum Unterricht, sind sie noch Kinder. Sie haben viele Fragen zum Sinn des Lebens, zum Glauben, zu ihrem Platz in dieser Welt und ringen mit der jeweils richtigen Antwort. Finden ganz neue Interessen, verwerfen alte Lebensweisen. Ein Jahr später stehen zur Konfirmation vorm Altar kaum wiederzuerkennende Jugendliche im Stimmbruch, mit Akne, wie junge Erwachsene gekleidet.
Die Konflikte zwischen Eltern und Kindern werden noch eine lange Zeit bleiben und an aller Nerven zerren. Eltern tragen weiterhin die Verantwortung für ihre Kinder. Kinder sind noch lange abhängig von ihren Eltern und auf ihre Fürsorge angewiesen. Das Band, das alle zusammenhält, trotz allem Streitens und aller gegenseitigen Unverständnis ist die Liebe, die Liebe der Eltern zu ihrem Kind. Die Liebe des Kindes zu seinen Eltern.
Maria und Josef begriffen nicht, was Jesus zu ihnen sagte. Wie sollten sie diese besondere Konstellation auch verstehen: die Liebe des Sohnes zu zwei Vätern. Doch er ging mit ihnen zurück nach Nazareth und gehorchte seinen Eltern. Er wurde Zimmermann, wie sein Vater Josef. Erst mit 30 Jahren brach er endgültig aus seiner Familie und deren Tradition aus. Auch diesen Konflikt können wir in der Bibel nachlesen. Aber seine Mutter, die all das, was sie zuvor gehört hatte, in ihrem Herzen bewahrte, ließ sich nicht beirren und hielt am Sohn fest. Der hatte seinen Platz im Leben gefunden. Den Platz, den er als 12-Jähriger fand, dort im Tempel von Jerusalem. „Ich muss bei meinem Vater sein“.
Suchen und finden – wir haben in dieser Geschichte der Bibel das Menschenkind und den Gottessohn Jesus gefunden.