Wir waren also unterwegs zu heiligen Bergen und interessanten Städten.
Unser erster, den Daoisten heilige Berg war der Tai Shan. Auf seinem Gipfel steht der Tempel des Jadekaisers, des höchsten daoistischen Gottes. Um dorthin gelangen zu können, wurde der Berg mit Treppen versehen, die auch wir jetzt empor steigen wollten. Es sind 6660 Stufen. Auf der Hälfte der Strecke gibt es einen Tempel, eine Gaststätte und eine Seilbahnstation, die wir nach über 3000 gelaufenen Stufen wegen der unglaublichen Hitze ansteuerten. Gemeinsam mit einer buddhistischen Nonne fuhren wir hinauf zum Gipfel. Dort hatten wir weitere unendlich viele Stufen zu betreten, rauf und runter und wieder rauf… bis wir unser Hotel erreichten. Die Nacht war kurz. Um 4.15h wurden wir geweckt, damit wir mit vielen warm eingepackten jungen und sehr alten Chinesen den Sonnenaufgang erleben konnten. Der Tai Shan ist der Berg der Schöpfung. Das zeigen auch die Fotos vom Aufgang der Sonne – einfach paradiesisch. Und man kann auch erkennen, wie Mao auf seine hier gesprochen Worten „Der Osten ist rot“ kam.
Zudem glauben die Daoisten an die „Beseeltheit“ der Berge, die eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Göttern und Menschen bringen. Wer den Tai Shan besteige, werde 100 Jahre alt. So viel Schöpfungskraft stecke in ihm. Nun – wer’s glaubt. Auf jeden Fall machen sich viele nachts in aller Dunkelheit und Kälte auf den mühevollen Weg. Die meisten eher leicht bekleidet, ohne Regenschutz und in Stoffschuhen oder Flipflops.Oben leihen sie sich einen wattierten grünen Mantel.
Nach dem Morgengrauen folgte das Frühstück – rein chinesisch mit Reisschleim, scharfen Gemüsen, etwas Keks und Tee nach Anfrage – und dann das Grauen des Abstiegs. Denn wir gingen den ganzen Weg zu Fuß – die letzten 2000 Stufen waren eine einzige Qual. Meine Füße wussten nicht mehr so ganz genau, wie sie sich weiter zu bewegen hatten. Mit einem für 10 Yuan erstandenen Gehstock ging es schon etwas besser, aber unten angekommen, konnte ich kaum noch in ein Taxi steigen, um ins einzige Cafe im Ort zu gelangen. Ich hatte Treppensteigen trainiert, allerdings nur aufwärts. Das war mir auch deutlich leichter gefallen – sehr lange Treppen meisterte ich im Stufe für Stufe silbengetrennten Vormichhinmurmeln des 23. Psalms, der mich mit „Stec -ken und Stab“ und „fri-schem Was-ser“ direkt unterstützte – und hatte keine weiteren negativen Folgen gehabt. Treppab verlangte danach doch von uns beiden einen Tag der Rekonvaleszenz im schönen Hangzhou am Westsee. Doch die nächsten Klosteranlagen warteten in Hangzhou, natürlich wieder auf Hügeln, und wurden alle besichtigt. Abends sorgte der See vor unserem Hotel für die Erholung.
Von dort aus fuhren wir zum nicht heiligen, aber schönsten Berg Chinas, zum Huang Shan, der mit vielen mit Kiefern bewachsenen Gipfeln, von Wolken partiell eingehüllt, wunderbar aussieht. Ich erklärte, dass nicht der Weg, sondern der Gipfel mein Ziel sei und fuhr per Bus und Seilbahn hinauf. Oben angelangt erwarteten mich wieder Treppenwege ohne Ende. Da ich allein unterwegs war, meine Begleiterin sah das mit dem Weg und dem Ziel anders, machte ich unterwegs auf dem Berg viele nette Bekanntschaften. Unter anderem sprach ich mit einem Träger, der seinen Lebensunterhalt dadurch verdient, dass er Getränkedosen, Reis, Zement etc. den Berg hinaufschleppt. Das Bambusstangenjoch mit seiner Last war für mich nicht einmal vom Boden hoch zu heben, geschweige denn, über Stufen hinaufzutragen.
Der Huang Shan ist über 2000 m hoch und sammelte im Laufe des Tages so viele Wolken ein, dass es ab Abend regnete. Es gab also keinen Sonnenaufgang zu sehen und ich ersparte mir auch den Abstieg bei Dauerregen und fuhr mit einer chinesischen Reisegruppe wieder per Gondel bergab. Bis ich das Hotel im Tal erreichte, war ich trotzdem völlig durchnässt. Meine Bergschuhe brauchten drei Tage zum Trocknen. Meine Bekannte, natürlich den ganzen Weg gelaufen, konnte ebenfalls alles auswringen.
Die schöne Altstadt von Huangshanshi mit ihren typischen weißen Häusern mit Pferdekopfgiebeln und Holzornamentik überraschte uns mit einem kleinen Cafe zum Entspannen.
Nach einem Zwischenstop in Nanjing reisten wir Richtung Song Shan (Shaolinkloster und Longmengrotten), sehr heiß, sehr eindrucksvoll, die Städte sehr trostlos.
Und dann folgte der letzte und meiner Meinung nach schönste Berg, der Hua Shan in der Nähe von Xi’an. Diesmal fuhren wir gemeinsam mit der östereichischen Seilbahn hinauf, denn der Berg besitzt fünf Gipfel, die nur über unzählige, sehr steile Treppen-, quasi Leiterstufen zu erreichen sind, wobei man sich an den Seiten an Stahlseilen halten kann. Die Wolken brachten etwas Schatten, aber am Tag keinen Regen, die schönen Aussichtspunkte boten Möglichkeiten zum Erholen, Malen, Reden, Staunen, Leute kennenlernen. z.B. den alten Herrn mit vollgeladener Kiepe, der in aller Seelenruhe auf dem Weg zum Südgipfel war.
Auf all den Bergen, in Zügen und Bussen waren wir fast die einzigen Langnasen gewesen, erst in Xi’an, bei den Terracotta-Kriegern holte mich der weltweite Massentourismus mit seinen klimatisierten Reisebussen wieder ein. Allerdings fuhr ich mit dem Linienbus, der natürlich nichts besseres wusste, als eine im Umbau befindliche Straße zu befahren, mit riesigen Schlaglöchern, Gegenverkehr von allen Seiten und Strommasten mitten auf der Fahrbahn. Die Erholung im muslimischen Viertel in Xi’an mit Tee und Kebab und frischem Obst hatte ich mir verdient. Am späten Abend ging es mit einem wetterbedingten Rüttelflug zurück nach Beijing.